Motorradfahren – Warum? Der Versuch einer Antwort

MotorProsa: Motorradfahren - Warum? Der Versuch einer Antwort
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Motorradfahren – wie kann man das jemandem erklären, der es nicht kennt? Der Versuch, meine Gedanken, meine Erinnerungen und meine Gründe, weshalb ich dieses Hobby betreibe, zu ordnen.

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder.

6 Grad unter Null, ein kalter Morgen Ende November 2000. Die vereist glänzende Straße unter mir. Letzte Laubfetzen, gefangen in einer gefrorenen Hülle. Morgens um sieben dröhnt eine rote Triumph Daytona von Bozen in Richtung Schluderns, 80 km habe ich noch vor mir, um 08.30 Uhr werde ich im Büro erwartet. Der Kaffee, der mir gekocht wurde, rumort im Magen .. Im Bett war’s angenehm, warm, weich und wesentlich benutzerfreundlicher. Die Triumph zieht eine mächtige Dampffahne hinter sich her, die Sonne im Rücken wirft meinen Schatten vor mich. Dick eingepackt kämpfe ich mich den Vinschgau hoch – die Kälte frisst sich dennoch durch Handschuhe, Stiefel, in den Helm. Um 08.15 Uhr schäle ich mich aus dem klammen Leder.

Motorradfahren
 in eisiger Kälte

12 Grad unter Null, Anfang Dezember 1993. Die Straße ist trocken, der Himmel stahlblau. Blau raucht es auch aus den beiden Auspuff-Rohren der Suzuki RGV 250, während ich an der Carabinieri-Streife vorbeirolle. Ich bin auf der Fahrt nach Mals, in die Arbeit. 200 Meter nach der Streife läuft mir ein Schäferhund ins Motorrad. Ich klammere mich an den Bremshebel, die RGV überschlägt sich, landet auf meinem Knie, und ich rutsche quer über die Fahrbahn in die Leitplanken – 20 m hinter einem südwärts fahrenden LKW ..

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Suzuki RGV 250 Gamma – first love, unforgotten.

Motorradfahren
 in arger Hitze

30 Grad im Schatten, aber es gibt keinen Schatten. Auf der Rückfahrt vom Lago di Caldonazzo heizt mir die Triumph Daytona T595 extrem ein. Im schwarzen Leder suche ich kühle Luft – der Schweiß rinnt die Arme entlang, wird vom heißen Fahrtwind, der in die geöffneten Ärmel eintritt, getrocknet. Die Reißverschlüsse an den Beinen habe ich schon lange geöffnet, die Stiefel ebenfalls. Kurz vor dem Kollaps ein Aufschrei in den Helm: Gottverd… Sch… Mühle!! Die Triumph gibt unbeeindruckt ihr Bestes, um Benzin in Hitze umzuwandeln. Mir ist schon lange speiübel, mein Unterleib schmerzt, ich will nicht mehr, aber ich bin noch über Hundert Kilometer von zu Hause entfernt. Die Daytona bleibt noch eine Woche bei mir, dann wird sie verkauft.

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Ein buchstäblich „heißer“ Ofen – meine ehemalige Triumph Daytona

Hochsommer 1997. Ein schwarzes, dumpf grollendes Motorrad presst sich die steile Straße hoch. Kehre um Kehre, hartes Anbremsen, hartes Umlegen, hartes Beschleunigen. Die Yamaha TRX hat eine weitere Serpentine auf dem Weg zum Stilfser Joch bezwungen. Gas fährt in die Zylinder, die Kupplung winselt. Fazit nach ca. 20 Minuten: eine optimale Fahrt – auch wenn Buell-Kollege Johann schon länger auf der Passhöhe steht und bereits den Helm abgenommen hat. Meine Sturmhaube ist nass, meine Handgelenke schmerzen, mein Gesicht ist verspannt. Vom Grinsen.

Motorradfahren
 im Regen

Herbst 2000. Wieder auf der MeBo zwischen Meran und Bozen, und es regnet in Strömen. Zehen, Finger, Schultern – alles wird und ist durchgeweicht, schrumpelt zu fahlen Körperteilen zusammen. Kälte kriecht meinen Rücken hinunter, Regenwasser hinterher .. Mit 140 Sachen drücke ich die Ducati durch die Nässe, erstaunt, welch‘ sicheres Gefühl mir die Maschine selbst in dieser Suppe vermittelt. Die Kette rasselt, die Bremse verzögert nicht mehr, sondern verteilt nur noch das Wasser auf den Bremsscheiben. Beim Zwischenstop an der Tanke stinkt die Maschine brechreizend, die nassen Handschuhe lassen sich nicht mehr ausziehen, in meinen Stiefeln steht das Wasser.

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Wasser, Kälte und Dreck – kein Grund,
 aufs Motorradfahren zu verzichten ..

Ostern 1995. Ich erreiche mit meiner Sozia und der gewaltigen Yamaha FZR 1000 den Gardasee. Mit Muskelkater in den Armen wegen des ungewohnt hohen Gewichts der Maschine ziehe ich mir in Peschiera den Helm vom Kopf. Die Brille fällt mir runter, ein Glas zerschellt. Ostern in Peschiera, und der einzige Optiker hat abends um acht noch geöffnet. Glück gehabt, ganz viel Glück gehabt ..

Auf der Heimfahrt stirbt die Maschine. Irgendetwas hindert sie am Atmen, mehr als 6.000 U/min dreht sie nicht mehr, ein Mahlen geht durch den Alurahmen. Der wahrscheinliche Grund: schlechtes oder verdrecktes Benzin. Nach 200 qualvollen Kilometern und einer frischen Tankfüllung besinnt sich die Yamaha wieder auf ihre alte Tugenden und stiebt mit zornigem Fauchen durch den Vinschgau.

Motorradfahren
 in der Fremde

September 2000. Spät abends auf der Autobahn zwischen Bamberg und München. Ich friere wie noch nie, friere mir buchstäblich den Arsch ab. Meine Zähne klappern, meine Arme zittern, ich kann nicht mehr geradeaus, fahre Schlangenlinien. Ich sehe Dinge, die nachts nicht auf die Autobahn gehören. An einer Tankstelle fahre ich raus, ziehe mir sämtliche verfügbaren Klamotten an, wärme mich an den Auspuff-Rohren, träume von einem Kachelofen in einer holzgetäfelten Bauernstube. Die längste, kälteste Nacht meines Lebens – gegen 22.30 Uhr komme ich endlich in Bergen an und lerne eine Menge netter MOFler kennen. Es wird wieder wärmer ..


Warum also
 Motorradfahren?

Mein Vater tat es nicht, mein Großvater auch nicht. Meine Mutter schon gar nicht, meine Kindergarten-Tante erst recht nicht. Schuld war wohl ein Typ aus meinem Heimatdorf, der seiner 650er Africa Twin 90 PS in die Zylinder dichtete – das wollte ich, das musste ich überprüfen: anhand meiner ersten gekauften Motorrad-Zeitschrift: „Motorrad, Reisen und Sport“. Die Initialzündung in fernen Jahren – seit damals lässt mich die Motorrad-Welt nicht mehr los.

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Schlammbäder sollen gesund sein –
 verbunden mit Motorradfahren sowieso 😉

Ein Leben leben,
 wie es viele Menschen nie tun werden

  • Freiheit. Freiheit. Freiheit. Fahren, wohin ich will, und Anhalten, wo ich will. Weiterfahren, wann ich will. Umkehren, wenn mir danach ist.
  • Eindrücke sammeln, immer und jederzeit. Davon zehren, vielleicht ein Leben lang. Ein Leben leben, wie es viele Menschen nie tun werden.
  • Die Welt von oben sehen. Die Welt aus anderen Blickwinkeln sehen, manchmal um 40 Grad geneigt. Durch die Welt rasen, bei 200 km/h die Zähne zusammenbeißen, den Körper anspannen, sich gegen den Wind stemmen.
  • Die Welt markieren. Schwarze Striche malen, die lange mein Zeichen sind. In winterlichem Matsch und Schlamm Reifenprofil drücken. In der Garage Ölflecken hinterlassen. Schwarze Hände rumtragen, und stolz darauf sein. Mich beim Schrauben verletzen und noch mit blutigen Fingern am Motorrad werkeln. Nach Benzin riechen, Blessuren heilen sehen, Narben davontragen.
  • Spaß haben. Anrauchen. Wohin heute? Dahin heute!! Ein bisschen riskieren und alles gewinnen.
  • Eins werden mit sich, der Maschine, der Straße. Die Welt aus den Fugen kippen sehen, wenns wahnwitzig um die Kurven geht.
  • Hitze, Kälte, Angst, Schmerz, unglaubliche Dynamik, Risiko, Glück, Einzigartigkeit erleben.
  • Mir liebe Menschen kennen lernen. Freunde fürs Leben, Gleiches denken, Gleiches tun, Gleiches fühlen. Motorradfahrer sein, nichts Anderes.

Darum fahre ich –
 ich will nichts Anderes.

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4 Gedanken zu „Motorradfahren – Warum? Der Versuch einer Antwort“

  1. Ein eher leidensorientierter Zugang zum Thema, oder?
    Ich fahre gerne Motorrad, weil ich gerne mitten in der Landschaft bin. Deshalb mag ich auch keine Integralhelme, dann könnte man auch gleich Auto fahren.
    Ich mag den Wind im Gesicht, ich mag das Grummeln meiner Guzzi.
    Ich mag mein Motorrad gerne anschauen und manchmal mag ich auch den Rausch der Geschwindigkeit.

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  2. Ich kann es nicht wirklich erklären. Es ist für mich kein Hobby. Es ist eine Lebenseinstellung. Urlaub mit dem PKW funktioniert nicht. Beruflich sitz ich genug im Auto (derzeit in Brest)

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  3. Mein Cousin möchte bald seine erste Motorrad-Tour machen. Da ist es hilfreich zu erfahren, dass das wohl ein unbeschreibliches Freiheitsgefühl auslösen muss. Derzeit sucht er noch nach einem passenden Anbieter für eine Motorrad-Tour.

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