Benelli Tornado RS – ein Traum auf 2 Rädern

MotorProsa Blog: Header Benelli Tornado RS

Erneut überließ mir mein KTM-Händler einen besonderen Zündschlüssel. Wieder für eine rote Dreizylinder-Maschine – aber diesmal nicht für eine Triumph, sondern für eine Benelli. WAS für ein Erlebnis! (Eine Geschichte aus 2004)

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Das Leben ist lustig, und das Leben ist schön. Noch am Samstag morgen waren meine Gedanken damit beschäftigt, den Transport meiner Supermoto-KTM in die 100 km entfernte Werkstatt und die anschließende Heimfahrt zu organisieren. Und heute früh bin ich mit der Gewißheit nach Bozen gestartet, vier Stunden lang mit dem Linienbus nach Hause fahren zu müssen.

Eine innere Stimme befahl mich in Bozen zuerst in den KTM-Laden. Vormittags, halb elf, und kein einziger Kunde im Geschäft. Smalltalk mit dem Chef, ein Wort gibt das andere, und ehe ich es richtig realisiere, halte ich den Schlüssel einer Benelli Tornado RS in Händen. 1.200 km auf dem Tacho, 19.000 Euro teuer, rot, edel, laut und nicht vollkaskoversichert.

Die Arbeitsanweisungen an den KTM-Schrauber gehen mir danach wie in Trance von den Lippen. Nach einem kurzen Check des Ölstandes der Benelli schließt sich das Werkstatttor hinter mir, denn die Schrauber wollen in die Mittagspause. Ich klettere auf die Sitzbank. Dem Zündschlüssel fehlt der Bart – dieser klappt erst auf Knopfdruck aus. Von „Zündung an“ kann man hier nicht sprechen – hier werden zig Systeme hochgefahren, während die Nadeln im Cockpit von einem Anschlag zum Andern pendeln. Moderne Zeiten.

MotorProsa Blog: Post Benelli Tornado RS

Feinst ausgestattet – Benelli Tornado RS Ltd.

Die Benzinpumpe pfeift und summt, bis Drehzahlmesser und die Anzeige der Wassertemperatur wieder auf Null zurückfallen. Der Druck auf den Starterknopf läßt nichts geschehen, erst nach Zug an der – überraschend schwergängigen – Kupplung passiert etwas: vertraute Klänge, die Startermotoren meiner beiden Triumph Daytonas klangen exakt gleich. Nach ein paar Umdrehungen katapultiert sich die Kurbelwelle mit einem rauhen, röchelnden Brüller auf 2.000 Umdrehungen, der erste Gang rastet ohne Geräusch ein und …

sanft rollt
 der Tornado an.

Brems- und Kupplungshebel passen leider nicht zu meiner Sitzposition, sind viel zu flach eingestellt. Egal. In den Rückspiegeln zeigt sich das ganze Panorama des rückwärtigen Verkehrs. Ist schon lange her, dass ich so etwas gesehen habe – Top! Die Fußrasten sind dort, wo sie sein müssen, die hohe Sitzbank ist im Vergleich zu meiner Ducati saubequem. Und die Tankform, die seitlich betrachtet Angstzustände um die Familienjuwelen verursacht, offenbart sich als geniale Lösung: nach dem ersten Anfassen des Bremshebels greifen die radial befestigten Bremszangen in einer Art und Weise nach den Brembo-Scheiben, dass es eine gewaltige Freude ist. So kenn ich das auch von meiner Ducati – nur drückt es auf dieser diverse Fortpflanzungsorgane platt.

MotorProsa Blog: Post Benelli Tornado RS

Ecken und Kanten – Benelli Tornado RS Ltd.

Frech pfeil ich durch den Bozner Mittagsverkehr – diese Spiegel sind wirklich Gold wert. Ein Finger an der Bremse reicht für alle Eventualitäten, dafür verlangt die Kupplung mehr Einsatz. Zu meinem Erstaunen kann man die Benelli aber auch im zweiten Gang von der Ampel loszünden – der Sechste kann sofort eingelegt werden, den Rest erledigt das mächtige Drehmoment des Dreizylinders.

Immer noch röhrt der Motor bei 2.000 Umdrehungen, beim Spiel mit dem Gasgriff macht sich Gänsehaut breit. Der Motor spricht zwar nicht so ultraspontan an, wie ich es von meinem Flachschiebervergaser-Einzylinder gewohnt bin. Er verschluckt sich sehr leicht, schießt aus dem Auspuff, die Drehzahl fällt schon mal unter 1.500, aber dies geschieht mit einer derart lässigen und sympathischen Art, dass ich den Dreizylinder den ganzen Weg durch die Stadt mit meiner nervösen Gashand quäle. Vibrationen sind Fehlanzeige, die Nadeln der Anzeigen wackeln nicht, und was mich am meisten freut: hinten im Heck blasen die beiden Ventilatoren bereits eifrig, aber ich bemerke keinen Hitzestau unter mir. Nochmal – perfekt!

Mein Weg führt mich in Richtung Mendelpaß. Im Kolonnenverkehr freunde ich mich mit Bremse und Gasgriff an, die Kupplung sorgt für Unterhaltung – bei jedem Lastwechsel kommt mir ihr Hebel ca. 3 mm entgegen. Mir dämmert: das muss eine Antihopping-Kupplung sein. Kurz vor der Auffahrt zum Mendelpaß erreiche ich das erste nennenswert lange Stück ohne Gegenverkehr. Im vierten oder fünften Gang dreh‘ ich das Gas rum. Der seidenweiche und kultivierte Lauf des Dreizylinders verwandelt sich in ein asynchrones Mahlen, an den Schenkelinnenseiten vibriert es, und von irgendwo her kommt ein gieriges Ansaug-Schreien, das ich in dieser Schärfe und kranken Tonlage noch nicht gehört habe.

Unglaubliche
 Vehemenz

Das Ding schießt mit einer unglaublichen Vehemenz nach vorne. Die angezeigten 140 km/h passen so gar nicht zu der runden 60er Tafel mit rotem Rand, ich lasse die Herren Brembo im Vorderrad arbeiten. Fantastisch: ein Surren von den Scheiben, keinerlei Rubbeln und nahezu kein Eintauchen von der ultrafetten Gabel. Beim Dahinrollen fällt mir ein, dass dieser Motor das krasseste Bohrung-Hub-Verhältnis im Sportmotorradbau besitzt: kurzhubiger ist kein anderes aktuelles Motorrad. Und dann dieser Schub – wie zur Hölle mag da die Benelli TnT mit nochmals mehr, nämlich 1130 ccm, Hubraum marschieren? Mein Respekt vor dem Gasgriff steigt erneut …

MotorProsa Blog: Post Benelli Tornado RS

Mit der Benelli Tornado RS Ltd. auf dem Gampenpass (Südtirol)

Der Dunlop 207RR ist sicher ein exzellenter Reifen, aber ich habe meine speziellen Erfahrungen mit ihm. In den ersten Mendelpaß-Kehren zeigt sich, was ein unpassender Reifen aus einem Granatenfahrwerk machen kann: die Benelli läuft jeder Längsrille nach, fährt wie angeschossen um die Kurven. Mit Dunlop 207RR bereift, hat mir hier meine Supermoto den Lenker um die Ohren geschlagen – dies dürfte an der Benelli der Lenkungsdämpfer verhindern. Zum Glück breitet sich gleich wieder feiner Asphalt vor mir aus. Gabel und Federbein bügeln alles glatt, federn synchron und bieten jenen Ground-Effekt, den man auch den Desmos immer nachsagt – perfekt!

Handlichkeit ist da – dieses Eisen kann tatsächlich mit nur einer Hand gefahren werden, Kraftaufwand ist weder beim Einlenken noch in der Kurve noch beim Rausbeschleunigen notwendig. Eine Linie bleibt eine Linie, Kurskorrekturen sind weder bei der Abfahrt vom Mendel noch vom Gampen notwendig. Wenn nur diverse Spurrillen nicht wären …

MotorProsa Blog: Post Benelli Tornado RS

Benelli Tornado RS – ein italienischer Traum

Gewöhnungsbedüftig ist das starke Bremsmoment des Motors und die Abstimmung im unteren Drehzahlbereich. Beim Einlenken in die Kurven im Schiebebetrieb bremst der Motor engagiert mit – trotz Antihoppingkupplung, die nur bei Belastungsspitzen eingreift. Beim ersten Gasanlegen feuert der Triple dann wohl etwas zu viel Benzin in die Brennkammern. Das überrascht, es geht ein ordentlicher Ruck durch die Maschine. Zieht man dann die Kupplung, schnellt die Drehzahl wieder auf 2000 U/min hoch. Kurios und definitiv nicht vergaserlike, aber nach der dritten Kurve hat man sich daran gewöhnt und läßt dem Motor seinen Willen.

Brüllt und schreit
 aus allen Öffnungen

Hinter Lana biege ich auf die Schnellstraße ein und reihe mich anstelle von in die Kolonne beinahe im Kofferraum einer Familienlimousine ein. Es mag schon sein, dass ich von der 748er Ducati nicht leistungsverwöhnt bin, aber dieser Schub ist brachial. Und vor allem muß man sich beherrschen, denn ab 5.000 U/min mahlt und grummelt der Dreizylinder nicht mehr – nein, er brüllt und schreit aus allen Öffnungen. Verrückt.

Im dichten Verkehr macht das aggressive Aggregat richtig Laune. Drehfreudig und mit mörderischem Biss schon bei tiefen Drehzahlen wird das Kolonnen-Hopping zum Vergnügen. Punktbremsungen sind ohnehin das Maximale. Aber der Tornado kann auch anders – einfach so im Verkehr mitschwimmen geht ohne Verschlucker und Konstantfahrruckeln. Das haben die Einspritzprogrammierer hervorragend hinbekommen, obwohl mir der Motor beim Bremsen und Auskuppeln vor zwei Ampeln ausgegangen ist. Wenn ich dran denke, wie sich meine Triumphs gegen konstante Geschwindigkeiten unterhalb von 120 km/h gewehrt haben …

MotorProsa Blog: Post Benelli Tornado RS

Charakter-Gesicht in der Motorrad-Menge

Was die Benelli nicht kann, ist Leerlauf. Das funktioniert bei laufendem Motor definitiv nicht, könnte aber auch an der geringen Laufleistung der Maschine liegen. Ansonsten gibt sich das Getriebe keine Blöße, weder beim rasanten Hochschalten ohne Kupplung oder beim Runterschalten mit winkendem Kupplungshebel und röchelndem und spotzendem Zwischengas. Kurze Wege, wenig Kraftaufwand und exakte Rastung –

Auch hier wieder:
 Perfekt!

Erstaunlich ist das schnelle Sinken der Tankanzeige – dieses Kraftwerk läßt sich die erzeugten Emotionen gut bezahlen. Bemerkenswert lasch ist die Verarbeitungsqualität in einigen Details. Dass ein 19.000-Euro-Motorrad einen Spiegel von sich wirft, gibt mir zu denken. Peinlich auch mein Auftritt vor der Eisdiele, als ich den Sitzbank-Höcker lösen wollte. Beinahe hätte ich die nur gesteckte Sitzbankverriegelung in der Hand gehabt, und abgesehen davon, daß der Zündschlüssel nur unter Gewaltanwendung wieder aus dem Sitzbankschloß raus wollte, hab ich ca. 5 Minuten benötigt, um die Abdeckung wieder zu befestigen.

Benelli Tornado RS –
 ein seltenes Ereignis

Dafür entschädigen die offenen Münder beim Vorbeiheizen. Es zählt zu den seltenen Ereignissen im Leben eines Motorradfahrers, eine ausgepresste Benelli Tornado knieschleifend aus einer Ecke vorbeibrennen zu sehen – und vor allem zu hören. Nach dem Wenden und gasstoßlastigem Parken vor eben dieser Eisdiele bringt ausnahmslos keiner der dort anwesenden Motorradfahrer weder einen Gruß von den Lippen noch würdigt mich ein einziger eines einzigen Blickes. Denn alle Augen stecken im Heck der Tornado, und leicht verwirrt weisen sie sich gegenseitig auf die knisternde und knackende, aufreizend aus dem Heck blasende Benelli hin – Lustig 🙂

MotorProsa Blog: Post Benelli Tornado RS

Benelli Tornado – Krasses Formenspiel

Natürlich ist jedes 8000-Euro-Japan-Motorrad alltagstauglicher, weniger anspruchsvoll und sicher unkomplizierter durch die Alpen zu brennen. Aber wenn dieser gedopte Dreizylinder mit seinem Donnerschlag erwacht und die Maschine unter krankem Brüllen derartig hemdsärmelig durch die Gegend feuert, wenn die Bremsanlage den Film vor Augen einfach mal so rückwärts spielt und die Kupplung freundlich winkt, dann stellt sich die Frage nach einem „Besser“ oder „Stärker“ oder „Preiswerter“ nicht mehr.

Ich werde mir weder diese RS noch die Standard-Tornado jemals leisten können. Auch „nur“ 17.000 Euro für die Spar-Tornado sind jenseits von Allem. Sollte ich jedoch eines Tages ungeplant mal im Lotto gewinnen, ich würde den Platz in meiner Garage genau mit dieser roten Maschine auffüllen. Nach einem langen Arbeitstag würde ich dann damit wieder auf die Jagd nach Ducati 999-Treibern gehen und sie beim Überholen ausgiebig grüßen. Denn eins ist sicher – wenn der Triple vorbeiröhrt, werden Kauf-Fehlentscheidungen zur Gewissheit und

Das Desmoherz
 kommt ganz kurz aus dem Takt.

Bewerte diesen Beitrag // Rate this post

Bestens dazu passend:

MotorProsa: Neugierig durch den Oberen Vinschgau

Neugierig durch den Vinschgau

Den oberen Vinschgau neu entdecken: von Laas in Richtung Reschensee, auf schmalen Wegen und verlassenen Pfaden. Dank Zero SR/F natürlich leise.
MotorProsa: 90-60-60 oder Die Sache mit den Kurven

Ausfahrt mit dem Supermodel

Eine erlebnisreiche Motorrad-Ausfahrt mit einem Supermodel – und einer dicken Überraschung. Aufregender Beginn, Enttäuschung am Ende.
1 2 3 4 5

Schreibe einen Kommentar