Als ich einmal einen Platten hatte …

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Die verrücktesten „Geschichten auf der Kurve“ habe ich im Sattel einer KTM LC4 625 SCSM geschrieben. Mit diesem Motorrad blieb nichts unerlebt – und es war die einzige Maschine, auf der ich mich mit einem Platten beschäftigen musste.

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Die „SuperCompetition SuperMoto“ von KTM war 2002 eines der schärfsten Werkzeuge fürs Kurvenreich: gut eingeschenkte 60 PS, alles aufs Nötigste reduziert und beinahe mehr Hubraum als Öl im Motor. An diesem Motorrad war nichts verbaut, was nicht unbedingt für eine Zulassung notwendig war – 130 kg komprimierter Spaß. Mit diesem Spielzeug verlor ich öfters die Kontrolle – über mich …

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KTM 625 LC4 SCSM – mein damaliger Partner im Wahnsinn

Die SCSM stand auf einem für den härteren Straßensport abgestimmtem Fahrwerk. Sie saugte ihr Benzin-Luft-Gemisch, brüllend und zwitschernd, durch einen Flachschieber-Vergaser und trug als Instrument nur ein schmales Display am Lenker, das sich bei Nässe verlässlich auf die Werkseinstellung zurücksetzte. Im Getriebe drehten sich sechs Gänge – der erste davon so kurz, dass es beim Gasgeben nur aufwärts, nicht vorwärts ging. Nach Kürzen der Übersetzung um ein paar Zähne ging das Anfahren im Zweiten am besten, Wheelies im Dritten waren die lustige Konsequenz ..

Damit verlor ich
 öfter mal die Kontrolle

Diesem Motorrad hab‘ ich über 40.000 km umgehängt – immer mit gut geöffnetem Gasschieber, meist in tiefer Schräglage, sehr oft auf dem Hinterrad. Ich hätte das Ding eigentlich niemals verkaufen dürfen, aber Ende Mai 2008 kam der Tag, an dem ich etwas Geld für einen Kinderwagen brauchte.

Bis dahin waren sie und mein Kollege Johy auf seiner 660er SMC meine liebsten Begleiter im Wahnsinn. Wir waren der sportlichen Ertüchtigung wegen nahezu jedes Wochenende unterwegs, stoppten an roten Ampeln auf dem Vorderrad und verließen die grünen Lichter auf dem Hinterrad, über den Bremszonen der Südtiroler Serpentinen hing der blaue Nebel unserer schmelzenden Reifen.

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DIESES Motorrad ertrug einfach alles

Das Ende des 2004er Motorjahres wollten wir mit einer anständigen Kehrenfeier einläuten – so trieben wir die beiden Supermotos über das Stilfser Joch nach Bormio und von dort durch das Valfurva auf den Gaviapass. Wir ritten ungezählte Drifts und Wheelies, brachten unsere Reifen zum Winseln, garnierten den Funkenflug der Cross-Stiefel mit Kratzspuren der Fußrasten auf der Fahrbahn.

Wir warfen uns um die Ecken des Stelvios, kämpften gegen die Schäden hochalpinen Asphalts und überlebten die Fallen in den dunklen Winkeln des Gaviapasses. Wir kamen als einzige Motorisierte spät am Nachmittag beim geschlossenen Rifugio Bonetta an, und nach unserem Motor-Aus war es still am Lago Bianco. Bis auf …

Ein leises Zischen
 von irgendwo her …

Es bekümmerte uns vorerst nicht. Wir ließen die Blicke über angezuckerte Berggipfel ziehen und ich bedauerte dabei, auf meine geliebte Bonetta-Carbonara verzichten zu müssen. Wir machten Witze über den erst kürzlich in der Gegend gesichteten Bären und wir erzählten uns Supermoto-Latein, bevor wir die beiden Apparate wieder vom Hauptständer nahmen – und dann den Grund für das leise Zischen von irgendwo her erkannten: Mein Hinterreifen hing luftlos an der Felge.

Ein Platten,
 im hochalpinen Gelände

Sich an einem Oktober-Samstag, spätabends auf 2600 Metern Meereshöhe, einen Platten einzufahren, ist keine gute Idee. Ein Handy hatte ich zwar dabei, aber wen anrufen, und vor allem wie, im Funkloch auf dem Gavia? Deswegen verzweifeln? Nein – denn die SC hatte zwar weder einen funktionierenden Tacho noch eine Hupe (diese ging nach einem Wheelie verloren) und trug auch nur noch einen Rückspiegel am Lenker (der zweite ging an einem Zaunpfahl auf dem Weg zum Sella-Joch verloren), aber die Werkzeug-Tasche am Heck hatte ich in einem Anflug von Vorahnung mit Ersatz-Schlauch, Druckluft-Patronen und etwas Werkzeug für den Radausbau befüllt. So nahm ich – nach einem ersten Schreck – erleichtert grinsend meinen Helm wieder ab und öffnete den Reißverschluss der kleinen Tasche.

Ich griff mit Schwung in zwei herrlich verfaulte und schimmelige Birnenkadaver. In einer Nacht, in der die SC nicht in der Box, sondern unter dem Birnenbaum vor meiner Wohnung stand, hat irgendein Spaßvogel das Pannen-Werkzeug durch Fallobst ersetzt.

Der Spaßvogel hatte sein Ziel erreicht, sein Streich funktionierte hier am Arsch der Welt prima: Ich sah schon den Abschleppwagen auf der Fahrt zu mir im Schnee steckenbleiben. Ich sah meine KTM unter fünf Metern Schnee verschwinden und erst im Frühjahr in einem Schmelzwassersee wieder auftauchen. Ich sah in meinen Erinnerungen allerdings auch den Quad- und Motocross-Laden im Valfurva, und die italienische Art der Beachtung von Geschäftszeiten brachte mich auf die Idee, dort um Hilfe zu bitten.

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In diesem Sattel erlebte ich die lustigsten Geschichten

Unsere beiden Supermotos hatten – als radikale Einsitzer – weder soziustaugliche Sitzbänke noch irgendwelche Haltegriffe oder Fußrasten für einen Beifahrer. Auf den 20 Kilometern hinunter ins Tal hing ich mehr als ich saß zur Hälfte auf dem Kotflügel von Johys Maschine. Wegen der sackschweren Cross-Stiefel von Krämpfen geschüttelt, schwangen meine Beine irgendwann nur noch unkontrolliert durch die Luft, und in den Bremszonen der Gavia-Kehren kam ich meinem Freund sehr sehr nahe …

Er schwankte
 zwischen Belustigung und Mitleid

Der gute Mensch im Quad-Shop hatte tatsächlich noch nicht Feierabend und hörte sich unsere Geschichte an. Dabei schwankte er zwischen Belustigung und Mitleid und überreichte uns schließlich Werkzeug, Reifenschlauch und Druckluftpatronen. Irgendwie bekam ich fast den ganzen Krempel in meiner Lederkombi unter – bis auf die Montiereisen. Und so begann Teil zwei des schmerzenden und schwankenden Trips, diesmal aber mit schweren Montiereisen in der Hand. Ich habe etwas gelitten …

Zurück in der Kälte des Gavia habe ich mich über die vielen selbst durchgeführten Reifenwechsel richtig gefreut – was war ich im drohenden Schneegestöber glücklich, alle und die richtigen Handgriffe am Hinterrad der KTM zu kennen und die Reparatur des Platten quasi aus dem Handgelenk schütteln zu können …

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Wartung an der KTM Supermoto konnte ich

Selten zuvor und niemals mehr danach hab‘ ich einen Alpenpass so gerne wieder verlassen wie an diesem Abend. Der gute Mensch im Quad-Shop freute sich über seinen Feierabend, der Bär am Gaviapass fand im dort gebliebenen Reifenschlauch ein weiches Kissen für seinen Winterschlaf, wir konnten endlich den Heimweg in Angriff nehmen.

So schnell habe ich
 einen platten Reifen nie mehr gewechselt

Das Stilfser Joch lag noch vor uns, aber wir fuhren es schon damals im Schlaf. Dennoch: es war mittlerweile dunkel geworden, und eisige Niederschläge drohten. Zwei wattschwache Scheinwerfer leuchteten uns den Weg bis zur – ganz neu – wegen Lawinengefahr gesperrten Passhöhe. Vor der Alternative, dem Umbrail in der Schweiz, lag ebenfalls ein geschlossener Schlagbaum, weil die Grenzwache ab 20.00 Uhr am warmen Ofen saß.

Heimfahrt mit Hindernissen …

So wurden wir in dieser Nacht, neben hochalpinen Mechanikern, auch noch zu Schmugglern und illegalen Einwanderern – es blieb uns nämlich nichts Anderes übrig, als unsere Motorräder umzulegen und über den groben Asphalt hinweg unter dem Schlagbaum hindurch zu zerren.

Abenteuer pur – und das alles nur,

weil ich einmal
 einen Platten hatte

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