Diesel-Skandal

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Unterwegs mit einem ganz besonderem Motorrad im Schlepptau – eins, das an der Tankstelle zur Diesel-Zapfsäule vorrollt. Gibts nicht? Kann nicht sein?

Oh doch!

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Definiere
 Motorrad

Ein Motorrad braucht Motor und Rad, von beidem viel und reichlich. Denn ein Motorrad muss dynamisch, schräg und höchstgeschwind sein. Früher, als es in den Magazinen noch Poster für die heimische Höhle gab, waren dort immer die Superbikes abgebildet – die mit dem maximalen Motor, den breitesten Reifen, dem buntesten Plastik. Das prägt mich bis heute.

Poster heißen jetzt Wallpaper – im Grunde das Gleiche. Moderne Reise-Enduros haben mehr Feuer als ein damaliger Poster-Racer. Heutige Superbikes (über)erfüllen die 200er-Formel: 200 PS, maximal 200 kg, 200 Millimeter breite Hinterreifen und verarbeiten pro Sekunde mehr Software als der lokale Computer-Laden. Jeder kann sich so ein 200er-Motorrad kaufen – fahren können ist ein anderes Thema.

Für uns Gereiftere, die wir unsere Schenkel nicht mehr weit spreizen, unsere Knie nicht mehr eng anwinkeln und unsere massigen, äh, muskulösen Oberkörper nicht mehr auf tiefen Stummeln abstützen können, äh, wollen, gibts Motorräder mit aufrechter, entspannter Sitzposition, schmalen, aber dicken V2-Motoren und Durchschlagskräften, die Abbruchfirmen im täglichen Geschäft auch gerne hätten. So ein Teil steht ja auch in meiner Garage: Die KTM 1290 Superduke R, und das Fahren damit ist der Wahnsinn.

Motorrad
 richtig definiert?

Heute allerdings sitze ich auf meinem Road King – mit seinem vor Hubraum überquellendem V-Twin eigentlich das ultimative „Motor“-Rad – und ziehe im Rückspiegel zwei permanent leuchtende Blinker und hinter einem kugelrunden Scheinwerfer versteckt ein sehr schmales Motorrad den Gampenpass hoch. Hinter dem Glanz des Chromtanks erscheinen und verschwinden im Rhythmus niedrigster Drehzahl kleine, dunkle Wolken sich selbst entzündenden Treibstoffs. Wenn ich meinen Gashahn schließe und das Rumpeln des All-American-Engine nach zwei fetten Fehlzündungen verstummt, drängt ein ungewohnter Motorenklang in meinen Helm, ähnlich einem luftgekühlten Porsche-Traktor. Hinter mir fährt ein Motorrad der Marke Sommer, drauf sitzt Kamerad „Marock“ aus dem Mimoto-Reiseforum, und Marock tankt kein Benzin.

Ein 500 Kubik-Einzylinder, gebläsegekühlt, untenliegende Nockenwellen mit Stoßstangen für zwei Ventile, Diesel verbrennend, Zahnriemenantrieb. In Deutschland gebaut, aber wie aus einer anderen Welt gefallen. 12 PS und 28 Nm Drehkraft – entspricht in etwa dem Anlasser meiner Harley. 180 Kilogramm schwer – beinahe so schwer wie der Motor meines Road Kings.

Reduzierte Drehzahl –
 Diesel-like

Wir tuckern den Gampenpass hoch. Langsam rotierende Schwungmasse schafft das Gleiche wie hochdrehendes Wüten – man kommt auch an, irgendwann. Ausgangs von Kurven und Kehren fällt Marock etwas zurück, eingangs von Kurven und Kehren ist er wieder da. Wir erklimmen den Saumpfad hoch zum Penegal, gehen abwärts auf Hasenjagd, lassen unsere Motorräder in Schlaglöcher fallen und zirkeln sie um Sandfelder. Die Verkehrsschilder dort oben, hoch über der Mendel, verblassen jährlich mehr, die Rostflecken unter ihrem faden Weiß blühen roter als die Büsche unterhalb der Aussichtsplattform.

Ich bin gerade Gampen- und Mendelpass mit maximal 70 km/h gefahren – ohne Wheelies, ohne Drifts, ohne Materialabtrag an den Knien und ohne orientierungsloses Hinterrad kurvenausgangs. Und ich vermisse meine Superduke grad überhaupt nicht.

Wir verlassen kurz nach Fondo den direkten Weg zum Tonale-Pass und klettern auf das Brezer Joch. Einspurige und wenig befahrene Wege führen uns an weißer Erde vorbei, enge und vergessene Kurven führen wieder talwärts, gegen Ende füllt der Santa-Giustina-See unser Blickfeld. Die Harley pulsiert im vierten und fünften Gang, immer knapp über Leerlauf-Drehzahl, die Rohre aus Hitzeschutz-Gründen offen, die Trittbretter feilen feine, dünne Linien in den italienischen Asphalt. Die paar Radargeräte, die freundlich über die gefahrene Geschwindigkeit informieren, zeigen geringe Werte.

Hatz-Diesel –
 –Diesel-Hatz?

Wir sind im Val di Sole, dem Tal der Sonne. Die Temperaturen steigen, hinter mir fährt – passend – ein Sommer-Motorrad, angetrieben von einem Hatz-Motor – aber von Hatz spüren wir beide nichts. Im Harley-Scheinwerfer-Chromgebirge spiegelt sich das Tal, fließt im Takt des 1700ers bebend nach hinten, Superbikes brüllen uns auf der letzten Rille entgegen, deren Fahrer winken mit den Knien, luftig gekleidete Italiener-Pärchen am persönlichen und am Limit ihrer Motorräder prügeln sich vom Tonale-Pass herunter. Alles kein Grund, mit einem Dreh am rechten Griff die Landschaft schneller zu machen, ganz im Gegenteil – wir genehmigen uns auf einem Rastplatz die mitgebrachte Brotzeit. Wenn ich laut bösen Stimmen schon eine Zweizimmer-Wohnung fahre, dann nutze ich auch deren Kühlschrank.

Der Rummelplatz auf dem Tonale bleibt unbesucht, unser nächstes Ziel ist der Gavia-Pass. Den dort zu Beginn gut gemeinten ausgeschilderten Rat, mit „massima prudenza“, also mit höchster Vorsicht zu fahren, können wir missachten – unsere beiden Motorräder wandern eh gelassen und gemütlich auf den zweithöchsten italienischen Pass.

Der Gavia: Ein ehrwürdiger Giro d’Italia-Pass, in stellenweise armseeligem Zustand, durchlöchert und zernarbt, schmal und schwindelerregend, und genau deswegen jedes Mal und immer wieder ein Erlebnis. In den Geruch frischen Kuhdungs mischt sich modriges, erdreiches Schmelzwasser, vereinzelt verfeinert mit einem Hauch von Massage-Öl glattrasierter Fahrradfahrer-Beine.

MotorProsa: Blog Post Diesel-Skandal 1
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Dunkle Wolken über dem Passo Gavia, Italiens Nr. 2

Vom Tal der Sonne auf den Pass des Eises – der See am Gavia ist noch zur Hälfte gefroren, obwohl sich am Straßenrand der Schnee langsam auflöst. Das Schmelzwasser wird von den zahllosen Rennradfahrern beidseitig in die Täler gefahren, ihre Schweißtropfen auf dem Asphalt verdampfen in der wenigen Sonne. Alles kleine Helden.

Es geht abwärts, hinunter ins Valfurva, dem drohenden Wolkenbruch hinter uns lassend – immer ein wunderbarer Auftakt in den Kehrentanz, der sich ab Bormio bis nach Prad ziehen wird. Bormio steht im Zeichen des Rades mit Wadenmotor – drei Tage lang wurde dort das Rennrad zelebriert (Haute Route), von dort die umliegenden Pässe in Angriff genommen, inklusive Zeitfahr-Rennen auf das Stilfser Joch.

Das machen wir jetzt auch – wir fahren auf meinen Hausberg, und wir haben Zeit. Selten komme ich über den dritten Gang hinaus, die Harley wirft ihr verbranntes Benzin dumpf rülpsend an die Felswände, Marock reitet auf einer etwas speziell riechenden dunklen Wolke in die Höhe. Wieder werden wir von „richtigen“ Motorrädern rechts liegen gelassen, um sie dann in den engen Tunneln wieder einzuholen. Wir grüßen die nicht antwortenden Entgegenfliegenden, denn wir haben die Zeit und Gelegenheit dazu.

Wir erreichen Tibet, wir erwischen einen gemütlichen Platz im Rummel. Der Cappuccino schmeckt hier immer noch am besten, das Betrachten des Kommens und Gehens könnte man stundenlang durchhalten. Aber der Gavia schickt seine dunklen Wolken über den Berg, im Tal hingegen leuchtet es noch blau – also wählen wir den Weg nach Prad, werfen uns in den Kampf mit ihren Bremsen unendlich vertrauenden Vespa-Piloten und lebensmüden Murmeltieren. In den Gesichtern der entgegentretenden MTBlern erkenne ich meinen eigenen Schenkelschmerz.

MotorProsa: Blog Post Diesel-Skandal 4

Schiff und Diesel • Harley Davidson und Sommer Hatz

Nach 48 Kehren und herrlich stressfreiem Schwingen hinab nach Prad endet unsere gemeinsame Fahrt in meinem Heimatdorf Laas. Ich ramme den Seitenständer des 380 Kilogramm schweren Kings in den marmorgepflasterten Hauptplatz, während Marock seine Sommer lässig einhändig aufbockt. Vanille-Eis schmilzt in heißem Kaffee, neugierige Senioren-Augen verlieren sich in den knisternden drei Zylindern unserer Maschinen, und schon ist eine gemütliche, gelungene und entspannende gemeinsam Ausfahrt zu Ende.

Dankeschön
 für diese Erfahrung, Marock!!

MotorProsa: Blog Post Diesel-Skandal 3

Es war mir ein Vergnügen!


Und warum lautet der Titel dieses Posts nun „Diesel-Skandal“? Nun, weil die bewusst langsame Fahrt durch ewig bekannte Gegenden, das bewusst entschleunigte Unterwegs-Sein und das bewusst auf Power und Speed verzichtende Zeitvertreiben ein skandalös gutes Gefühl wird. Für alles zu Erlebende und alles Erlebte hat man einige Momente mehr Zeit, um es zu genießen und darüber spazieren zu denken.
Wenn man also für Stress keine Zeit hat, dann ist eine solche Tour genau das Richtige Welt.


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14 Gedanken zu „Diesel-Skandal“

  1. Danke schön für die berührende Geschichte.
    Bei den 380kg hab ich auf dem Bild vergebens den Seitenwagen gesucht.
    Mein Ural-Gespann hat „nur 345kg“
    Auch damit geht Landschaft erleben pur und unmittelbar.
    Für die flotteren Momente gibts ein modernes „Bügeleisen“. Das semiaktive Fahrwerk der ’21 AfricaTwin AS in Verbindung mit DCT macht es selbst mir mit 68 locker möglich unseren Freunden, den „besonderen“ Motorradfahrern, Grenzen zu zeigen.
    Um, bisher immer rechtzeitig, die Jagd aufzuhören um sie nicht über diese Grenzen zu treiben.
    Bin froh Deinen Blog gefunden zu haben. Die „Wachzeit“ letzten 5 Tage, Grippe hat Immunsystem gefordert, vergingen wie im „Flug“.

    Antworten
  2. …ich hab doch garnicht kommentiert. 😉

    Jetzt aber.

    Leider, leider Jürgen ich komme die letzten Wochen kaum dazu mal konzentriert was wegzulesen. Hier hab ich es jetzt mal gemacht und es war wie immer ein Genuss.

    Wenn ich wieder mehr Zeit weiss ich wo ich gucken muss!

    Viele Grüße
    Micha

    Antworten
    • Ja dann, Micha, werde ich zusehen, dass Du immer mal wieder frischen Lesestoff hier findest
      Freue mich über Deinen Kommentar!

      Beste Grüsse,
      Jürgen

      Antworten

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