Traumstraßen: Der Gavia-Pass (2621 m)

Portrait einer Traumstraße: der Gaviapass
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Nicht die Nummer 1, was die Höhe angeht – aber beim Erlebnisfaktor definitiv ganz vorne mit dabei: der Passo Gavia. Im Schatten des berühmten Stilfser Jochs präsentiert er sich als ganz besonderer Alpen-Pass. Eine Motorradstory von Moppetprosa.

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Dieser Text erschien in der MOTORRAD, Europas größter Motorrad-Zeitschrift, Ausgabe 6.2021 (März). Hier ist ein kurzer Auszug daraus.


Uzza, ein kleiner Ort, nur einen Katzensprung hinter Bormio gelegen, gibt subtil einen ersten Eindruck des einzigartigen Charakters des Passo di Gavia. Wer mit zu viel Schwung in den schmucklosen Häuserhaufen mit unverputzten, rohen und alten Fassaden einbiegt, wird von Engstellen kalt erwischt. Und noch bevor die trostlosen, zerbröckelnden Gebäude wenig Gutes erwarten lassen, strahlt ein prunkvolles Sgraffitto-Haus, wie man es eigentlich aus dem Schweizer Graubünden kennt, aus dem Grau. Überraschung ..

Hier, im Valfurva, regiert der Stein – durch die wenigen Ortschaften rollt man über liebevoll verlegtes Pflaster, und über allem wacht linkerhand der immense Felsrücken des Ortlermassivs. Was von dort oben herunterfällt, verfängt sich – hoffentlich – im neuen Schutzwall kurz hinter San Gottardo und sperrt das Tal nicht wieder für Monate, wie 2019 geschehen.

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Nach wenigen Kilometern öffnet sich die Landschaft – aus dem Pfadfinden durch den Wald wird ein Swing über die Alm, beißende Fahnen von friedlich im satten Grün vor sich hin mistenden Rindviechern wehen in den Helm.

Doch auch hier – gerade hier – gilt umso mehr: die äußerst kreativ an den Hang geworfene Straße fordert höchste Aufmerksamkeit.

Im Gegensatz zum Stilfser Joch, das sich auf der anderen Seite des Ortler-Massivs in die Höhe schraubt, gibt es keine schützenden und stützenden Trockenmauern, der Berg arbeitet beständig am Asphalt, hebt und senkt ihn, reißt die im Frühjahr eilig aufgebrachten Rettungsflicken mit seinem Schmelzwasser wieder in die Tiefe und verbiegt die vor sich hin rostenden Leitplanken dramatisch. 

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Auf 2600 m Meereshöhe erscheint schließlich, kurz vor der Passhöhe, der magische Lago Bianco, der seinem Namen „Weißer See“ – so gar nicht gerecht wird: sein Türkis konkurriert bei schönem Wetter mit dem Blau des Himmels, und in ihm spiegeln sich die umgebenden, gletscherbedeckten Bergriesen.

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Bei aller Faszination über diesen sich wie gewachsen durch’s Gebirge schlängelnden Weg – ein nicht zu übersehendes Mahnmal unweit der Passhöhe weißt eindrücklich darauf hin, dass es den Gaviapass ohne die Schrecken des ersten Weltkriegs so nicht geben würde. Denn erst die italienischen Alpini befestigten den ursprünglichen Saumpfad und ermöglichten damit die motorisierte Fahrt von Bormio nach Ponte di Legno.


Der Gavia-Pass (Koordinaten: 46° 20′ 37″ N, 10° 29′ 17″ E ) verbindet Bormio in der oberitalienischen Provinz Sondrio (Nordrampe) mit Ponte di Legno in der Provinz Brescia (Südrampe). Auf 43,9 km überwindet die Straße von Bormio kommend 10 Kehren, von Ponte di Legno kommend 15. Die Nordrampe ist weitestgehend zweispurig ausgebaut, die Südrampe ist streckenweise sehr eng (Fahrbahnbreite zwischen 1,9 und 3 Metern) und führt 2,5 km nach der Passhöhe durch einen ca. 500 m langen, unbeleuchteten Tunnel. Auf beiden Rampen werden jeweils ca. 1400 Höhenmeter überwunden, die Steigungen erreichen bis zu 16%.

Die Angabe der Passhöhe offenbart ein Kuriosum: die Region Lombardei gibt offiziell 2621 m ü.N.N. an, am Rifugio Bonetta wird jedoch ein Wert von 2652 m ü.N.N. angegeben. Dies ist dem alten Verlauf des alten Saumpfades geschuldet, der vor dem 1. Weltkrieg nicht dem Ufer des Lago Bianco folgte, sondern etwas höher gelegen durch den Fels führte (Quelle: https://valtellinamobile.it/la-storia-della-vera-altezza-del-passo-gavia/).



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