Mit dem Cabrio an den Lago Maggiore

Ein Blick über den Lago Maggiore und den Hafen von Cannobio.
Lesedauer // Reading time: 12 Min.

Manchmal gelangen wir an Orte, die eine unglaubliche Anziehungskraft ausüben. Weiter zu ziehen, fällt schwer, der Wunsch, wieder zurück zu kommen, wird nie mehr leiser. Es sind Orte, die sich im Gedächtnis festsetzen: Cannobio am Lago Maggiore ist so ein Ort für mich. Kommt mit!

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Eine unglaubliche
 Anziehungskraft

Der Lago Maggiore, der „große See“, liegt im Grunde fast vor meiner Haustür. Er ist keine 300 km entfernt, in knapp fünf Stunden zu erreichen, und auf dem Weg zu ihm können traumhafte Schweizer Pässe erlebt werden. Und doch war er mir bis zum Sommer 2015 vor allem ein großer Unbekannter. Ich streifte seine Ufer bis dahin ein einziges Mal, 20 Jahre zuvor im Sattel meiner Suzuki LS 650 Savage, auf dem Rückweg von den Cinque Terre. Aber es blieb keine Zeit für einen Besuch, an den sich heute noch erinnern ließe.

Im Sommer 2015 bewies das MOTORRAD action team bei der Organisation der „Alpenmasters“-Tour ein goldenes Händchen – und buchte für uns Teilnehmer die Zimmer im Hotel Cannobio an der Uferpromenade. Ein Schnappschuss aus dem Gästebuch des Hotels spricht für sich:

Mit dem Cabrio an den Lago Maggiore – Ein Blick in das Gästebuch vom Hotel Cannobio (www.motorprosa.com)

Ein Blick in das Gästebuch

Das Haus verzauberte mich mit seinen edlen und reich verzierten Räumen sofort. Ein nobler Ort der gehobenen Hotellerie, am gefühlt schönsten Strand des Verbano. Das musste ich meiner Partnerin zeigen. Kaum von der Motorradtour zurück, ignorierte ich die derben Preise der Hochsaison und buchte ein Zimmer für uns. Am Morgen des 1. August bat ich sie ins Cabrio, mit dem Ziel: Überraschung.

Der Weg führte uns von Laas in die Schweiz, an unserer gemeinsamen Arbeitsstelle in Müstair vorbei, hoch auf den Ofenpass mit seinen stellenweise beeindruckenden Steigungen. Das Wetter war leider nicht Cabrio-tauglich. Dichter Nebel und Regen ließen den an einen wilden kanadischen Wald erinnernden Landstrich vom Ofenpass bis hinunter nach Zernez im Trüben verschwinden. Trotzdem war es sehr angenehm – denn vom großen Schweizer Feiertag spürten wir nichts, waren nahezu alleine unterwegs. Wir rollten an grauen Baum-Leichen vorbei, an immensen Lawinenschäden, an unzähligen Wanderwegen, die sich im sich selbst überlassenen Schweizer Nationalpark verlieren. Ein magischer Landstrich – und im Winter, versteckt unter meterhohem Schnee, ist er das noch mehr.

Magische
Landstriche ..

Entlang des Inn begegneten uns Orte mit unausprechlichen Namen. Ab La Punt-Chamues, dem kleinen Häuserhaufen, in dem die Straße auf den Albula abzweigt, fuhren wir durch eine geradezu kitschig schöne Landschaft bergwärts, immer noch im Regen, immer noch im Nebel, aber selbst das Wenige, das wir durch die beschlagenen Fenster sehen konnten, beeindruckte uns. Wie immer, typisch Albula.

Mit dem Cabrio an den Lago Maggiore – Pause auf dem Albula-Pass (www.motorprosa.com)

Zwischenstop beim Albula-Hospiz

Der Wagen mit dem wahrscheinlich größten Wendekreis der Welt verlangte hier bedachte Aktionen. Die Kehren des Albula -Passes können eng sein und beim falschen Anfahren aufs Material gehen. Aber wir trafen erneut auf wenig Gegenverkehr, so konnten wir ungestresst das Tal der Albula hinabfahren, über die schweizerische Eisenbahn-Baukunst staunen und uns über feinst asphaltierte Streckenabschnitte freuen. Hier hat sich ein Schöpfer bei der Gestaltung der Landschaft richtig viel Mühe gegeben – ein Kleinod!

Bei Thusis reihten wir uns in den recht heftigen Verkehr auf der A13 ein, um zügiger in die Nähe des San Bernardino zu gelangen. Auch dieser Pass hat sich auf meiner Alpenmasters-Tour tief in die Erinnerungen gebrannt. Eine unglaublich angenehm zu fahrende Hochstraße, mit einem wie geleckt glatten Asphalt, mit Naturstein-Mauern in den Kehren, dekoriert mit Vasen und Blümchen, beschriftet und herausgeputzt – ein Sahnestück mit Schoko-Guss.

Schweizerisches
 Sahnestück

Die in Graubünden häufig vorkommenden Allrad-Kompakt-Sportler ließ ich ziehen, um den Blick über das Rheintal genießen zu können. Leider holte uns der Nebel auf der Südseite des Passes wieder sein, so dass die Abfahrt in Richtung Mesocco zu einem langsamen Blindflug wurde. Wir beschlossen, wieder auf die Autobahn zu fahren, um nicht erst spät nachmittags am Ziel anzukommen – dank der Tessiner Baukünstler ist die Fahrt über die verwegen verschlungene Autobahn eh ein gerne genommenes Erlebnis.

Der Süden und der Lago Maggiore kamen näher. Ich erinnerte mich an die Fahrt mit dem Road King in Richtung Locarno, bei irrer Hitze und begleitet von einem Wind, der mich fast vom Motorrad wehte. Nun saß ich im – leider geschlossenen – Cabrio, begleitet von den wenigen Drehzahlen des Motors, die Hand meines Weibchens in meiner, und erblickte bei Ascona wunderschönes Wasser.

Angekommen am
 Lago Maggiore

Ich wäre sehr gerne durch die Hundert Täler – die „Centovalli“ – gefahren, um den dort möglichen Kurvenwahnsinn (es sei mir verziehen …) zu erleben, aber unser Dachloser fühlt sich auf weitläufigerem Terrain wohler – ich hatte schon am Ufer des Sees genug mit der nicht vorhandenen Übersichtlichkeit des Opel Cascada zu kämpfen. Angesichts des schmalen Asphaltbandes den Maggiore entlang wunderte ich mich doch über die stetig zunehmende Sportwagen-Dichte – mit einem breitarschigen Turbo-911er möchte ich jedenfalls keinem Reisebus begegnen ..

Nach wenigen Kilometern, immer dem Fels entlang und überrascht vom Einfallsreichtum der Bewohner, was Gestaltung von Garageneinfahrten, Gärten und Liegewiesen vor dem eigenen Haus anging, war Cannobio erreicht, das Hotel schnell wiedergefunden. Ein wenig war ich enttäuscht, nicht nochmals das geniale Zimmer meines ersten Aufenthalts bekommen zu haben, aber der Ausblick über den See entschädigte sofort:

Blick auf den Hafen von Cannobio (www.motorprosa.com)

Blick auf den Hafen von Cannobio

Wir starteten unsere Runde durch das Städtchen. Obwohl von hohen Bergen umgeben, umfing uns dieses typische südländische Flair, das an Italien so liebenswert ist. Prächtig geschmückte Kirchen und pathetisch gefeierte Heilige bilden einen bisweilen krassen Gegensatz zum „ma va la, lascia perdere“ meiner Mitbürger.

Impressionen aus Cannobio (www.motorprosa.com)
Impressionen aus Cannobio (www.motorprosa.com)
Impressionen aus Cannobio (www.motorprosa.com)

Impressionen aus Cannobio

Und so verwunderte es auch wenig, dass ausgerechnet im Keller der Wallfahrtskirche „Santissima Pietà“ bis spät in die Nacht bei heftigsten Disco-Klängen gehochzeitet wurde. Lebenslänglich, mit höchstem Segen, quasi .. Wir genossen inzwischen auf der unglaublich mondän erscheinenden Terrasse des Hotel Cannobio die excellente Küche und ließen unsere Blicke über das langsam dunkler und leiser werdende Wasser des Lago Maggiore schweifen.

Der nächste Tag begann mit strahlendem Sonnenschein – ein perfekt passendes Geschenk:

Blick über den Lago Maggiore (www.motorprosa.com)

Blick über den See

Auf der Promenade standen schon seit den frühen Morgenstunden hunderte Verkaufsstände des sonntäglichen Wochenmarkts – Gelegenheit zum Shoppen und vor allem zum Staunen, was es auf der Welt so alles gibt und was man davon alles nicht braucht. Beim Schlendern durch die Gassen fanden wir danach auf Schritt und Tritt Motive für Erinnerungen, Lustiges für das Foto-Archiv, Herzliches für das Verlangen, wieder zu kommen:

Impressionen aus Cannobio (www.motorprosa.com)
Impressionen aus Cannobio (www.motorprosa.com)
Impressionen aus Cannobio (www.motorprosa.com)

Impressionen aus Cannobio

Nach einem luxuriösen Frühstück auf der sonnenüberfluteten Hotelterrasse zogen wir schweren Herzens unseren Koffer in Richtung Auto und begaben uns auf die Weiterfahrt – diesmal mit offenem Dach. Geplant waren die Weiterfahrt entlang der Ufer des Lago Maggiore, der Besuch des Lago di Varese und des Lugano-Sees, anschließend die Umrundung des Lago di Como und schließlich, die Heimfahrt. Wegen des Promenade-Schlenderns in der Früh musste die etwas zu enthusiastisch geplante Tour ein wenig gekürzt werden – aber im Cabrio fühlt es sich sowieso besser an, gemütlich unter der Sonne dahin zu rollen,

ohne Stress
 und Zeitdruck.

Auf dem Weg nach Süden kam vom Wasser kühle Luft ins Auto, während die Felswände bereits kräftg Wärme abstrahlten. Wir staunten über die immer opulenter werdenden Hotels, die Menge an teuren Sportwagen und edlen Luxus-Limousinen, aber irgendwann wurde der Glanz an allen möglichen Stellen doch ein wenig peinlich.

Am Südufer des Lago Maggiore schickte mich das Navigationssystem dann endlich in die Pampa, empfahl die schnellste, vielleicht auch die wirtschaftlichste, aber auf jeden Fall die falsche Strecke. Der Lago di Varese blieb also unbesucht. Auf etwas verwinkeltem Weg, über kleine und alte Straßen fanden wir zum Lugano-See. Landschaftlich erlebten wir dabei wenig Aufregendes, dafür war die Pizza in dem kleinen Lokal mitten im Nichts sehr lecker.

Lugano ließ spüren, dass wir zurück in der Schweiz waren – die Cola mit dem kleinen Eisbecher dazu schlug nahezu die gleiche Bresche in die Finanzen wie tags zuvor das Steak im Hotel Cannobio. Im Preis inbegriffen: eine astreine Lebensmittelvergiftung .. Die Umgebung beeindruckte uns allerdings sehr – ich kann mir gut vorstellen, wie gut Betuchte um einen Villen-Bauplatz an den steilen Berghängen kämpfen:

Blick über den Luganer See (www.motorprosa.com)

Weiter gehts nach Lugano

Ahnungslos, was sich in unseren Mägen zusammenbraute, setzten wir die Fahrt entlang des Nordufers fort, gelangten nach Menaggio am Lago di Como. Der Verkehr hatte in der Zwischenzeit stark zugenommen, wir quälten uns über die kurze Strecke. Vom Lago di Como selbst sahen wir nur das ferne Ost-Ufer, den Blick auf das Wasser verwehrten uns hohe und rostige Leitplanken. Umso mehr reifte der Plan, den „Lario“ irgendwann mal später zu besuchen.

Der kleine Lago di Mezzola war der nächste See auf unserer kurzen Reise; hinter ihm verblasste das südliche Flair mehr und mehr. Die Wege wurden wieder steiler, die Berge schroffer, die Luft kühler. Ab Chiavenna hatte uns das Hochgebirge wieder – und kurz nach der Staatsgrenze wurde im wunderschönen Val Bregaglia die Frischluft schließlich zu frisch. Bei geschlossenem Verdeck und aktivierter Heizung konnte ich aus den Augenwinkeln beobachten, wie meiner Partnerin immer öfter die Augen zufielen. Gut für mich, um die genialen Kehren des Malojas und das satte Fahrgefühl des schweren Cabrios bei zügig durchmessenen Kurven zu genießen –

ein genialer Reisewagen,
 dieser Cascada.

Wir passierten drei weitere Gewässer: den Silser, den Silvaplaner und den Sankt Moritzer See. Pause gönnten wir uns keine mehr, der Abend brach an. Ab Samedan gehörte die Straße wieder uns allein – mit aktiviertem Tempomat konnte ich mich entspannt zurücklehnen und den Wagen den Inn entlang nach Zernez rollen lassen, um von dort mit wieder etwas mehr Einsatz den Ofenpass zu erklimmen.

Kaum dort den höchsten Punkt überschritten, kam es noch zu einer netten Begegnung: im Rückspiegel wurde ein engagiert bewegter Audi RS6 immer größer – als dessen Schnauze in meinem Seitenfenster auftauchte, war ich mir sicher: mein Boss. Er hielt sich ein paar wenige Kurven lang zurück, um schließlich doch vorbei zu gehen und mir durch Tschierv hindurch bis hinunter nach Müstair den Weg frei zu machen.

Knapp nach Sonnenuntergang erreichten wir die heimatliche Garage – eine ruhige, entspannte und richtig schöne Tour an den Lago Maggiore lag hinter uns; von der verdauungstechnischen Tortur, die noch vor uns lag – wohl wegen nicht mehr ganz frischer Sahne auf dem Lugano-Eisbecher – ahnten wir noch nichts ..


Ihr möchtet mehr vom Lago Maggiore lesen? Die bunte Christine, begeisterte Autorin, Bloggerin und Fotografin, ist DIE Expertin für den Verbano. Auf ihrer Website finden sich wichtige Tipps, Empfehlungen und Wissenswertes, und ein Besuch lohnt auf jeden Fall!


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