Traumstraßen: Der Col d’Izoard (2360 m)

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Der Col d’Izoard – ich bin ihn vor vielen Jahren mit der Harley im Schlepptau einer äußerst zügigen Reisegruppe gefahren, habe nur ein einziges Foto mitgebracht – und keine Erinnerungen. Das ist nun anders: Im Sommer 2022 besuchten Uli von moppetfoto.de, Julia von maedchenmotorrad.de und ich diesen Klassiker der Route des Grandes Alpes – und hatten viel Zeit im Gepäck.

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Dieser Text über den Col d’Izoard erschien in der Reihe „Passportrait“ im Magazin MOTORRAD, Europas größter Motorrad-Zeitschrift, Ausgabe 15.2023 (Juli). Nachstehend ein Auszug davon. Das „Passportrait“ ist eine Kooperation zwischen Uli von www.moppetfoto.de und mir.


Wellig, holprig und buchstäblich wachrüttelnd folgt die D 902 der Cerveyrette, die sich eine mächtige Schlucht in den Fels gegraben hat. Ansonsten fordert die Strecke nach dem Start in Briançon nicht viel: Ohne Engstellen oder Serpentinen wird die Ortschaft Cervières erreicht. Hinter ihr ragt ein grauer, von mächtigen Schutthalden umfangener Gebirgsstock in die Höhe. Passend besteht der Ort aus schmal gebauten Steinhäusern und zieht bei der Vorbeifahrt, trotz schreiender Wintersport-Werbung, die Blicke an. Bis hierher war die Straße von vernachlässigter Machart, eingeklemmt zwischen drückendem Berg und verbogenen Leitplanken, vernarbt von Steinschlägen und zerrissen von zerstörerischer Witterung. Ab dem Weiler Le Laus wird aus ihr allerdings ein Wunderspielplatz für alles, was rollt.

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Feinste Kehren, flüssig und zügig fahrbar, erlauben einen herrlichen Motorrad-Tanz. Zwischen den kurz aufeinanderfolgenden, auch mal steil nach oben treibenden und – natürlich – von Steinmauern gestützten Serpentinen übertrifft sich die Natur selbst. Die Vegetations-Sensation reicht bis knapp unter den Pass, die Waldgrenze liegt in unmittelbarer Nähe zum Refuge Napoléon auf 2290 Meter Höhe. Dort, am bestmöglichen Logenplatz, wird ein Blick auf die charakteristische Gipfelregion frei.

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In dunklen Schotterfeldern werfen gelb-graue Felsfiguren lange Schatten über das Geröll. Einzelne, der hochalpinen Witterung trotzende Bäume stehen stolz mitten im Stein.

In den Augenwinkeln taucht eine fesselnde Landschaft auf, die man eher in einer fernen Wüste verorten möchte – die Casse Déserte: Hunderte Meter breite Schutthalden ragen von den Bergkämmen herunter, verlegen bei heftigen Niederschlägen wohl auch mal die Straße – Spuren von schweren Baumaschinen sprechen eine klare Sprache. Aus dem Schutt ragen zerklüftete, riesige und wilde Steinformationen, durchbrochen, zerrissen, verwittert, nur von den zähesten Hochgebirgspflanzen bewachsen, ändern je nach Sonnenstand ihre Farbe. Dieses Spektakel dauert einen halben Kilometer lang – es ist eine überwältigende Abfolge von Eindrücken.

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Ein bitumenfreies Kurvenparadies, ideal, um nach der fesselnden Gipfelregion wieder in den Kurvenflow zu kommen. Die D 902 windet sich aber nur kurz durch den dichten Wald, ehe sie unspektakulär, gleichmäßig und ohne enge Kurven in Richtung Arvieux abfällt. Wenige Kilometer später, bei Château Queyras, biegt die Straße in das Tal des Guil ab und folgt dem Fluss mal links, mal rechts bis nach Guillestre.

[…]

Acht erstklassige Kehren liegen auf dem weiteren Weg in den Süden. Der Charakter typisch französisch: grob gemischter Asphalt, der aggressiv an den Reifen nagt, bergseitig vom derb behauenen Fels begrenzt, talseitig von einer bestenfalls kniehohen Mauer. Bevor sich die Straße hoch über der tief eingeschnittenen, engen Combe du Queyras durch einspurige und unbeleuchtete Tunnels schlängelt, grüßt der Guil nochmals: aufgestaut und mit einem durchdringenden Grün.


Passportrait Col d’Izoard: Dankeschöns, High-Fives & Links

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2 Gedanken zu „Traumstraßen: Der Col d’Izoard (2360 m)“

  1. Lieber Jürgen,
    ich liebe eure Passporträts .. herzlichen Dank dafür!
    Wer schon mal dort war, weiß genau wovon du schreibst & wer noch nich dort war, der will hin .. die Bilder vermitteln die Stimmungen an diesen wundervollen Orten zum Greifen nah.

    Ich muss wohl in 2024 mal eine ganz ausgedehnte Pässetour mit viel Muse zum Entdecken der zahlreichen Wunder am Wegesrand machen..

    Antworten
    • Hey, liebe Stephanie!
      Ich bzw. wir haben zu danken – freue mich sehr über Deinen Kommentar!

      Ausgedehnte Pässetour mit viel Muse – das klingt gut. Lass uns das im Auge behalten für den kommenden Sommer!

      Antworten

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