
Schon im August fand ein besonderes Motorrad-Buch den Weg in mein Bücherregal: „Hin und Weg“ von Eva Strehler, mit dem Untertitel „Als Motorrad-Vagabundin durch die USA“. Ich bin nun endlich mitgefahren.

Die ersten Zeilen von „Hin und Weg“ – von Eva signiert – verschlang ich sofort, doch dann forderte das eigene Motorrad-Arbeiten jede freie Minute, und das Buch blieb zwar nicht unbeachtet, aber ungelesen auf dem Wohnzimmertisch liegen. 300 Seiten Vagabunden-Fahrt durch die USA, dafür wollte ich mir die gebührende Zeit nehmen – und plötzlich war das Jahr so gut wie vorbei.
Anfangs Dezember dann die Überraschung: der ADAC empfiehlt in seinen Online-News 9 Motorradbücher als Geschenkideen – mit „Hin und Weg“ im Titel und „MotorProsa“ als dritte Empfehlung.
Hin und weg –
es geht los
Das will nun endlich gewürdigt werden: ich nehme mir Couch, Buch und Zeit und gehe mit Eva auf die Reise. Zu Beginn belächle ich ihre Emotionen noch etwas, denn dass sie beim Verladen ihres Motorrads, liebevoll Josi genannt, Tränen vergießt und diesen Abschied schwieriger empfindet als die Trennung von Freunden, Familie und Partner, das ist mir dann doch etwas zu blumig.
Dafür mag ich mich ein paar Zeilen weiter schon wieder entschuldigen – denn Eva erwähnt ein umfangreiches Medikamenten-Depot im Gepäck, um ihre Depressionen auch in den USA im Zaum zu halten. Hier schreibt eine Leidenskollegin – krass, und nahegehend.
Die Reise startet auf einem Frachter in Antwerpen. Natürlich könnte Eva auch einfach in die Staaten fliegen – aber die Atlantik-Überquerung per Schiff mit unendlichen Sonnenuntergängen, unterhaltsamen und tiefen Momenten mit der Crew und das nur so möglich werdende langsame Einstimmen in’s große Abenteuer wählt Eva in voller Absicht.
Unbewusst (hoffentlich) habe ich von „Amerika“ eine ganz eigene Vorstellung, geprägt von tausenden Spiel- und Kinofilmen, von Hochglanz-Fernsehserien und Nachrichten. Denke ich an „Mit dem Motorrad quer durch die USA“, kommt mir das Harley-Bollern auf der Route 66 in den Sinn, behütet von der Bekanntheit der Straße und einem Begleitfahrzeug am Ende der Motorrad-Gruppe, umgeben von anderen Erlebnis-Willigen, von Hotel zu Tankstelle, von Restaurant zu Hotel, am nächsten Tag wieder weiter fahrend, organisiert von Profis, bezahlt mit vielen und lange angesparten Dollars, immer das „Muss man mal erlebt haben …“ im Hinterkopf.

Einmalige Landschaften, einmalige Begegnungen …
Eva allerdings ist alleine unterwegs, hat ihr Hotel in Form von Zelt und Schlafsack auf der BMW mit dabei. Sie sucht sich wenn es nicht mehr anders geht oder wenn ihr einfach danach ist, einen Unterschlupf für Josi, ihren Bärenbegleiter Gynsburgh und sich selbst, fährt am nächsten Tag weiter oder bleibt – und begegnet dabei wunderbaren und wundersamen Menschen, erlebt einzigartige Herzlichkeiten und Kurioses, beschreibt die Fahrt mit einem Klang, der mich sofort fesselt. Und vermeidet die überrannten „Muss man mal gesehen haben …“-Hotspots.
Noch mehr als die beinahe kitschig guten Erfahrungen mit den Menschen, die sich öfter als erträumt als „Engel“ entpuppen, beeindrucken mich die nachdenklichen Passagen, die ich besonders gut nachvollziehen kann. Evas Suche nach Ruhe und Einsamkeit, die Art, wie sie Dinge erkennt, Kälte, Schmerzen und Seelenleiden beschreibt und übersteht, das drückt mich tiefer und tiefer in die Couch.
Hin und weg –
dieses Buch geht mir nahe
Immer wieder ergänzt Eva ihre Erlebnisse mit Infos zur gerade bereisten Stadt, zum Landstrich, mit Historischem, Kuriosen, Interessantem. Sehr gute Idee!
Auf den 300 Seiten von „Hin und weg“ findet sich alles, was es auf einem Motorrad zu erleben gibt: brüllende Hitze mit in den Stiefeln brennenden Füßen, bis zum Abbrechen gefrorene Finger und Höllenschmerzen wegen Ungeschicklichkeiten, die man eigentlich mit wenig Aufwand hätte vermeiden können. Emotional maximalst tief gehende Momente und Überraschungen, abstoßende Langeweile und Enttäuschungen. Pures, niemals enden sollendes Fahrvergnügen und verzweifelte Momente auf einsamen Pfaden, die als Fazit eigentlich nur ein „Jetzt ist alles aus“ zulassen.
Wie nahe Eva einzelne Begegnungen gehen, wie sehr sie sich die bisweilen düstere Geschichte des Landes zu Herzen nimmt, wie die Reise von ihrer Gefühlswelt gesteuert wird – das zeichnet ein ganz besonderes Bild von ihr als Mensch. Obwohl sie meist das Allein-Sein sucht, blüht sie in der Beschreibung der vielen Begegnungen auf. Wie sie selbst die größten Katastrophen mit Hilfe dieser Bekanntschaften übersteht, ist herrlich befreiend. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten entpuppt sich also als genau das – im Guten, allerdings auch im weniger Angenehmen.
Für mich ist unfassbar, dass Eva alleine und ohne Navigationsgerät durch das Land fährt, mit knappstem Budget selbst bei der Verpflegung sparen muss, mehr als einmal nur mit einem Glas Wasser im Magen zu Bett geht. Sie ist ohne detaillierte Planung, ohne Buchungen und Termine unterwegs – bis auf das Treffen mit ihrem Liebsten. Einfach für sich, einfach frei, und erweist so dem „Land of the Free“ die größte Ehre. Mir, als jemand, der am Ende eines Motorrad-Fahrtages immer ein sauberes Hotel, eine heiß befüllte Badewanne und einen reich gedeckten Tisch braucht, nötigt das den allergrößten Respekt ab. Nicht zu reden von den stunden- und tagelange Fahrten durch fieses Wetter, immer auf der Suche nach einem passenden Platz für Zelt und Motorrad, unsicher, ob sich etwas findet oder durchgefahren werden muss – sensationell!

Traum- und albtraumhafte Erlebnisse in „Hin und weg“
„Hin und weg“ kommt mit ca. 70 Abbildungen (das e-Book enthält noch ein paar Bilder mehr), die das Kopfkino passend ergänzen. Zwar tragen die Fotos keine Beschreibungen, wer aber Evas Zeilen aufmerksam folgt, versteht die gewünschte Aussage sofort.
Ich bin begeistert. Wenn auch Ihr „Hin und weg“ sein wollt, dann besorgt Euch das Buch – am besten bei der Autorin selbst. Das Buch ist sensationell günstig bepreist (… ich hab‘ direkt ein schlechtes Gewissen), noch dazu wird pro verkauftem Exemplar 1 Euro für die medizinische Versorgung obdachloser Menschen gespendet.
Hm, das Buch muss ich wohl mal lesen. Wenn ich auch eher Abends eine feste Unterkunft bevorzuge. Alleine weil sie mit dem Schiff anreist.
Ich bedauere nämlich auch, das es nach Nordamerika keine Fährverbindung gibt. Zumindest keine, die wo Passagiere mitnimmt. Ich mag nicht mehr fliegen.