„Hin und weg“ – Autorengespräch mit Eva Strehler

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Eva Strehler ist Motorrad-Reiseautorin aus Kiel, und nimmt mich mit ihren Erzählungen immer wieder beeindruckend mit. Ganz im Sinne von „Lesen ist ernten, was andere gesät haben“. Ihre Bücher „Hin und Weg“ und „Blind Date mit den Karpaten“ habe ich hier auf MotorProsa bereits vorgestellt – um mehr von ihr zu erfahren, als zwischen den Zeilen steht, habe ich Eva nun zum Interview gebeten.

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Dein USA-Buch trägt den Untertitel „Als Motorrad-Vagabundin durch die USA“. Das gefällt mir! Erzähl mir – wo kommst Du her? Welchen Weg nahm Dein Leben bisher?

Tatsächlich gibt es da gar nicht den einen Ort – ich war lange wurzellos.

Geboren in Leipzig, aufgewachsen in Ostberlin, im November ’89 Umzug nach Vechta / Niedersachsen. Da hab ich Abi gemacht (an einer katholischen Mädchenschule, kaum zu glauben…). Es folgten ein Au pair-Jahr auf Kauai, Hawaii, mein Studium in Göttingen, ein Jahr in Südafrika, dann arbeiten in Göttingen, Berlin und Kiel. Da bin ich jetzt und da bleibe ich. Wahrscheinlich … 😉

Erinnerst Du Dich noch an Dein erstes bewusst wahrgenommenes Motorrad? Wann hast Du gespürt, dass Du mit dem Motorrad losfahren willst / musst?

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Zwei Fragen, eine Antwort:

Mit fünfzehn verbrachte ich einen Urlaub in Südfrankreich. Durch tausend Zufälle ergab es sich, dass ich mit geliehener Lederkluft als Sozia auf der 1100er BMW eines Pärchens aus Höxter in den südfranzösischen Sonnenuntergang fuhr.

Da war es um mich geschehen. Ich wusste, ich will Motorradfahren.

Kannst Du diesen Antrieb beschreiben? Woher kommt Deine Leidenschaft für das Motorradreisen?

Ich fürchte, so richtig kann ich das nicht beschreiben. Es ist dieses unglaubliche Gefühl von Freiheit, einfach weil man auf dem Motorrad frei atmen und frei sehen kann.

Irgendwo las ich: „Sobald man einen Rahmen um etwas legt, zerstört man es.“ Das gilt für (Auto-)Fensterrahmen ebenso wie für Kameras, mit denen man Panoramen einfangen will. Auf dem Motorrad bleibt das Panorama. Außerdem spüre ich auf dem Motorrad oft jedes halbe Grad Veränderung (besonders, wenn es kalt ist …). Man spürt, dass man ist.

Woher nimmst Du Deinen Mut?

Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich so mutig bin. Bisher habe ich Reisen unternommen, die mir keine Angst gemacht hatten; also brauchte ich keinen Mut, um die Angst zu überwinden. Angst hätte ich vor einer Fahrt durch den Iran oder vor den Grenzübergängen auf der Panamericana. Erstere werde ich hoffentlich nächstes Jahr überwinden.

Wer oder was inspiriert Dich? Gibt es Reisende, deren Geschichten Du verfolgst?

Zu Reisezielen inspirieren mich meist Bilder – sei es aus den Medien oder von anderen Reisenden. Oft bleibt ein Bild vor meinem inneren Auge, das dann für eine ganze Reise steht. Bei der USA war es der Blick über den Lenker, vor mir die Weite des Südwestens – in dem Moment, in dem ich den Anlasser drücke. Bei der Mongolei, die ich 2023 mit dem Gespann bereisen will, ist es meine Hündin Polly, die frei durch die Weite tobt.

Allgemein im Leben und in anstrengenden Zeiten sind es die Lebensgeschichten anderer Menschen, die mich inspirieren. Menschen, die wirklich etwas gewagt haben. Ich wage ja immer aus dem deutschen Luxusleben heraus.

Natürlich verfolge ich die Reisen verschiedener Leute auf Facebook. Vor allem aber Andreas Altmanns Reisen sowie sein Blick auf Menschen und Welt inspirieren mich. Außerdem habe ich gerade einen Bericht über eine Antarktisexpedition 1917 gelesen. Ich hoffe, der inspiriert mich dazu, beim nächsten Frieren nicht so sehr zu jammern 😉

Seit 2020 „Hin und weg“ –
 Eva Strehler aus Kiel

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Eva mit Josi und Polly

Magst Du mir von Deinem glücklichsten Moment unterwegs erzählen? Und von Deinem traurigsten?

Der glücklichste war wohl auf einem Schotterweg in New Mexico. Ich schlitterte gerade durch die Wildnis, als mir durch Kopf und Körper schoss: „Ich bin hier, ich bin wirklich hier – in Amerika. Ich fahre hier mit meinem Motorrad, einfach, weil ich es wollte.“ Das Bewusstsein, meinen langjährigen Traum wahrgemacht zu haben, war überwältigend. Warum ich das erst nach drei Viertel der Tour hatte, frage ich mich allerdings immer noch.

Der traurigste war, als ich unterwegs vom Tod eines Bekannten erfuhr. Von der Krebsdiagnose zu seinem Tod hatte er vier Monate. Keine Chance mehr, sich noch um seine Träume zu kümmern (von denen er viele gelebt hatte). Neben der Trauer kämpften in mir Erleichterung und schlechtes Gewissen darüber, dass ich gerade einen meiner großen Träume lebte.

Wolltest Du auf Deinen Reisen irgendwann mal einfach „dableiben“? Und von wo wolltest Du unbedingt wieder weg?

Für ein paar Tage oder Wochen hätte ich an einigen Orten bleiben können. Letztlich überall dort, wo ich mit netten Mensch in Kontakt gekommen bin. Für ein paar Monate oder ganz wäre Neuengland eine Region für mich. Oder das kleine Dorf Breb im Norden Rumäniens.

Es gab zwei kleine Orte, in denen die Atmosphäre so düster, so verzweifelt war, dass ich es kaum ausgehalten habe und so schnell wie möglich weitergefahren bin: Cairo in Illinois und Rimavská Seč in der Slowakei. Arbeitslosigkeit, Armut und Resignation waren mit Händen greifbar. Und wieder hatte ich ein schlechtes Gewissen: Welch ein Luxus, einfach wegfahren zu können …

Wo möchtest Du jetzt sein? Welchen Ort siehst Du vor Dir, wenn Du Deine Augen schließt?

Auf einer kleinen Landstraße, unterwegs mit meinem neuen Gespann Molly, im Beiwagen meine dicke Polly, die es liebt, so unterwegs zu sein. Ich hoffe, dass das wahr wird!

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Polly scheint an TripTeq-Rahmen Gefallen zu finden

Du hast Theologie studiert – wie begleitet Dich das auf Deinen Fahrten? Wirst Du von Göttlichkeit begleitet – oder genau das nicht?

Überhaupt nicht. Meine frommen Jahre liegen weit zurück. Von der Theologie habe ich auch nur einen Teilbereich als zweites Magisternebenfach studiert. Ich habe damals ehrenamtlich im Hospiz gearbeitet und wollte mehr über die gute Begleitung sterbender Menschen lernen. Außerdem war ich damals mit einem Theologiestudenten verlobt und dachte, dass so ein halbes Theologiestudium ganz schick ist für eine Pastorenfrau 😉

Wie erlebst Du Deine Fahrten? Reist Du aufmerksam und notierst Dir unterwegs Dinge – oder erzählst Du das Erlebte nach? Brauchst Du Hilfsmittel zum Schreiben? (z.B. Fotos, Notizen, Belege …). Wie merkst Du Dir das Erlebte?

Meist sind meine Antennen ausgefahren, ich fahre langsamer als der Durchschnitt, schaue ständig nach links und rechts, halte oft an – um Fotos zu machen oder um etwas in mein Notizbuch zu schreiben. Das ist im Kartenfach des Tankrucksacks immer griffbereit. Ich hab auch schon manche grüne Ampelphase verpasst, weil ich unbedingt etwas aufschreiben wollte. Anhand dieser Notizen und der Fotos schreibe ich dann die Berichte und Bücher.

Unterwegs suche ich mir abends meist einen netten Ort zum Essen, und schreibe dort die Notizen ins Reine.

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Hin und Weg – das „Blind Date mit den Karpaten“

Was war der Auslöser, Freiberuflerin zu werden?

Als ich das USA-Buch schreiben wollte, hab ich schnell gemerkt, dass ich nicht der Mensch bin, der acht bis zehn Stunden arbeitet, um sich dann zuhause hinzusetzen und das Buch zu schreiben. Nur an Wochenenden zu schreiben, ging gar nicht. Also habe meinen Job als Fundraiserin beim ASB gekündigt und als Teilzeit-Verkäuferin bei POLO angefangen. Da gab’s natürlich deutlich weniger Geld, aber ich hatte mehr Zeit, meinen Traum vom Buch zu verwirklichen. Als der Vertrag dort saisonbedingt auslief, war mir klar: Ich will mehr längere Reisen unternehmen, ich will über meine Reisen schreiben und in Vorträgen von ihnen erzählen. Mit einer Festanstellung wäre das nicht möglich gewesen.

Außerdem ist es eines meiner Lebensziele, in meinem Rhythmus leben zu können. Und keinem neurotischen Chef mehr erklären zu müssen, warum ich fünf Minuten zu spät komme…

Gibt es etwas, was Du bereust?

Ich hätte meine Freiberuflichkeit nicht am 1. April starten sollen… Die bisherigen zwei Jahre waren von Corona und den entsprechenden Einschränkungen beim Reisen und bei Veranstaltungen bestimmt. Es war und ist anstrengend – ein sehr lange andauernder und vor allem schlechter Aprilscherz.

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Als Reiseautorin unterwegs in Corona-Zeiten –
wenn man sich nicht einmal in Tankstellen aufhalten darf…

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Wo wirst Du mit 80 sein?

Du stellst Fragen, wow! Natürlich weiß ich das nicht. Seit Jahren versuche ich so zu leben, dass mich eine Diagnose wie „Sie haben nur noch ein Jahr zu leben.“ nicht schocken würde, weil ich so gelebt habe, wie ich leben wollte. Verrückterweise glaube ich inzwischen gar nicht mehr, dass ich achtzig werde – aber wenn, dann will ich noch Motorrad fahren! Oder einen schnittigen Kerl kennen, der mich mitnimmt.

Ansonsten hoffe ich, irgendwo in der Nähe eines Wassers sein zu können. Jetzt ist es die Ostsee, aber es darf auch ein See oder Fluss sein. Ich hoffe, dass Wein und Pesto mir noch immer schmecken – und dass ich so lebe, dass ich sie auch bekomme.

Wie wirst Du Deinen letzten Tag verbringen?

Hoffentlich mit meinem Liebsten – wenn er das denn will. Hoffentlich in meiner Wohnung oder in einem Hospiz. Hoffentlich schmerzfrei – aber das sollte dort kein Thema sein. Hoffentlich bei Sonnenschein – und ich würde gern nochmal ans Wasser. Appetit hab ich dann wahrscheinlich nicht mehr, aber ein Glas Wein ginge bestimmt noch. Und ich würde (auch schon in den Tagen davor) in meinen Jahresalben blättern und mich an das tolle Leben erinnern, das ich leben durfte.

Klingt ein bisschen kitschig, oder? Aber ich denke, das ist am letzten Tag okay.

DAS ist vollkommen okay, liebe Eva! Ich Danke Dir herzlich für diese Einblicke – nimm meine besten Wünsche für die nächsten Reisen mit auf den Weg!

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