100.000 Kilometer mit der Ducati 748

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Ich gebe zu: Die 100.000 stehen noch nicht ganz im Tacho meiner Ducati 748s – aber diesen Meilenstein wird sie im Frühjahr 2025 erreichen. Bevor die Maschine in den nächsten Tagen eingewintert wird, blicke ich auf unsere gemeinsamen und ereignisreichen 24 Jahre zurück.

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Dieser Artikel erschien erstmals im Kradblatt (Ausgabe 10.2024), dem kostenlosen Motorradmagazin von Motorradfahrern für Motorradfahrer aus Norddeutschland. Stöbert gerne im Archiv, gebt gratis private Kleinanzeigen auf oder lest alle bisher erschienenen Ausgaben online.

Mitte der 1990er Jahre stellte ein italienischer Hersteller die Motorradwelt auf den Kopf. Die Armada der dickbäuchigen, hoch aufragenden und asymmetrisch auspuffenden Vierzylinder-Sportler aus Japan, die alle dem gleichen Baumuster folgten, wurde von einem schmalen, kleinen Motorrad aufgemischt.

In seiner Form war es radikal anders – und in seinen Details radikal weitergedacht. Scheinwerfer mit Raubkatzenblick. Ein filigraner, aber bombenstabiler Stahlrohrrahmen um einen schlanken, mittragenden Motor. Das Cockpit eng um den Lenker gezeichnet, mit der Klemmgarantie für dickere Finger. Ein Knieschluss aus dem Paradies mit der Tankrückseite als schmalste Stelle überhaupt. Sturzgeschützte Auspuffe im Heck. Eine einzige Botschaft: Wo ich bin, ist vorne. Einarmschwinge, Schnellverschlüsse, in wenigen Minuten komplett nackt. Alles für das Lächeln auf dem Weg zur schwarz-weiß karierten Flagge gemacht.

Meine Ducati 748s im Herbst 2022

Meine Ducati 748s im Herbst 2022

Die revolutionäre Ducati 916. Ein Jahrhundertentwurf, konsequent für die Rennstrecke gezeichnet. Die Honda RC30 stand in Bologna zwar unzweifelhaft Modell für „la moto massimale“, die 916 mischte allerdings fernöstliche Präzision und italienischen Wahnsinn zu unwiderstehlicher Schlagkraft.

Dieser Wahnsinn sorgte dafür, dass es die 916 lange Zeit nicht zu kaufen gab. Hunderte halbfertige Maschinen standen auf Halde, weil Zulieferer wegen offener Rechnungen nicht mehr lieferten. Organisiertes Chaos und eine bisweilen sehr lässige Verarbeitungsqualität hielten viele 916er von der Straße fern. Der mehr als ambitionierte Preis tat sein Übriges dazu.

Meinen ersten Kontakt mit der Göttin hatte ich im Sattel einer Yamaha FZR 1000 Exup – ein Schlachtschiff im Vergleich zur Roten aus Bologna. Ich folgte der Ducati durch den Vinschgau, sie füllte den Raum hinter sich mit harten Termignoni-Fanfaren und erschreckendem Kupplungsrasseln. Nach wenigen Kilometern schlug die 916 seitlich in das Heck eines ihr die Vorfahrt nehmenden Autos ein, was dem Fahrer ein gebrochenes Handgelenk bescherte. Die Ducati hingegen konnte dank clever platzierten Sollbruchstellen an Lenkerstummeln, Kupplungsgriff, Spiegel- und Verkleidungshaltern auf eigenen Rädern nach Hause rollen.

Das gab es bis dahin noch nicht.

Die 916 war faszinierend, aber den Haben-Wollen-Effekt spürte ich lange Zeit nicht. Ihre radikale Optik sprach mich zu Beginn nicht an – ich war den Superbikes der 1990er verfallen: Suzuki GSX-R, Kawasaki ZXR, der traumhaften Yamaha OW-01. Außerdem bewegte sie sich preislich in Sphären, die ich nicht erreichen konnte. Das änderte sich erst 2000, als ich mich spontan in eine 748 verliebte. Ich konnte ihr quasi bei der Geburt zusehen: Mein Händler öffnete just bei meinem Besuch eine Transportkiste aus Borgo Panigale und holte die „Kleine“ raus.

Erstkontakt
 mit der Ducati 748s

Ein knappes halbes Jahr nach dieser Prägung wechselte der Schlüssel meiner Triumph Daytona den Besitzer und ich kletterte erstmals in den Sattel einer Ducati. Nachts fuhr ich damit von Bozen in den Vinschgau, eine Strecke von nicht mal 80 Kilometern. Wegen der hohen Fußrasten erlitt ich schwerste Krämpfe in den Oberschenkeln, wegen der tiefen Lenkerstummel brannten meine Handgelenke, der humpelnde Motor warf mich mehrmals unerfreulich an den harten Tank. Familienplanung war damals zum Glück kein Thema. Das Ding rasselte, klapperte, brüllte laut und dumpf, kurz:

Es war so geil!

Nach einem Tag der Eingewöhnung rasierte ich mit der 748 die Kurven des Reschenpasses, konnte mich danach über die erstmals nicht mehr vorhandenen Angststreifen auf den Reifen freuen. Damals bedeutete das noch was. Die ersten 1.000 Einfahrkilometer lagen nach einer Woche hinter mir, die Inspektion erledigte eine Werkstatt in Imst (Nordtirol). Auf dem Rückweg wäre ich fast in einem Gewitter ertrunken – diesen Nässetest bestand meine 748 ohne zu murren, an der italienischen Elektrik zweifelte ich fortan nicht mehr.

Mir war vollkommen egal, dass die 916 und ihre Schwestern für die Rennstrecke gebaut wurden – ich ging damit auf Reisen. Eine Tankhaube von Bagster mit gleich zwei Rucksäcken sowie eine große Hecktasche taten mir dafür gute Dienste. Eine der ersten längeren Fahrten brachte mich für mehrere Tage in die Fränkische Schweiz – nach einem phänomenalen Kurvenfest schubste ein ausparkender Familienkombi meine Ducati in den Kies beim Kathibräu. Wieder bewährten sich die Sollbruchstellen.

Mit guten Freunden unterwegs in der Fränkischen Schweiz

Mit guten Freunden unterwegs in der Fränkischen Schweiz

Ihr nächster Fall folgte nicht weit davon entfernt – im Jahr darauf warf ich der deutschen Polizei die vollgepackte 748, mit der ich inklusive Sozia nach Dänemark unterwegs war, vor den Streifenwagen. Ich wollte die Maschine nach dem Tanken cool von der Zapfsäule weg schieben und stolperte uncool über den Seitenständer. Sie fiel wieder auf die rechte Seite, die Sollbruchstellen … Ihr wisst schon. Dänemark haben wir trotzdem erreicht, ich bin auch ohne Probleme wieder nach Hause gekommen.

Schon nach einem Jahr sprang der Kilometerstand auf 30.000. Ich fuhr den dritten Satz Bremsscheiben und den zweiten Satz Kipphebel. Die offiziell renntauglichen Bremsscheiben verzogen sich permanent, die Kipphebel in den Zylinderköpfen trennten sich gerne von ihrer Beschichtung. Wäre das alles nicht von der Garantie gedeckt gewesen, ich wäre heute noch mittellos.

Ich drückte auf ihr meine Knieschleifer in den Asphalt des Anneau du Rhin und des Salzburgrings, fuhr in einem Rutsch an die ligurische Küste und nach zwischenmenschlichen Schwierigkeiten tags darauf wieder zurück. Regelmäßig machte ich der Fränkischen meine Aufwartung – ich liebe das Spiel in den Kurven zwischen Bayreuth und Bamberg noch heute.

Ich fuhr die Ducati das ganze Jahr über, durch Regen, Schnee und Salzwasser, pflegte sie manisch. Ein Esslöffel von Mamas bestem Waschpulver, mit heißem Wasser in einer Sprühflasche vermischt, hielt die 748 strahlend sauber und glänzend rein. Den zweiten Kettensatz bekam sie entsprechend erst bei 40.000 km, passend zur zweiten Kupplung. Gebraucht aus Ebay, denn originale Teile gab das Budget nicht her. Die Service-Kosten waren immer vierstellig. Und ich fuhr viel.

Erneut ging die 748 zu Boden – diesmal allerdings nach links, in der ersten Kehre des Stilfserjochs. Ich saß auf einer seltenen und unfassbar teuren 916 Senna und sah dem Drama von hinten zu. Für einmal war ein Motorradtausch eine ganz gute Idee, die Senna hätte nicht fallen dürfen …

Meine Ducati 748s auf ihrem Lieblings-Spielplatz: dem Stilfserjoch

Meine Ducati 748s auf ihrem Lieblings-Spielplatz: dem Stilfserjoch

Stilfserjoch, genau – die eigentliche Spielwiese meiner Ducati. Wie oft ich die 748 die 48 Kehren hoch und runter trieb, das kann ich nicht mehr beziffern, aber das geht in die Hunderte. Die Straßenlage, als wäre das Motorrad mit der Fahrbahn verschraubt, die absolute Zielgenauigkeit und die unerschütterliche Stabilität beim harten Anbremsen selbst auf derbem Asphalt, das macht mir unbändigen Spaß. Dass die Kleine aus ihren Ansaugnüstern brüllt wie eine ganz Große, ist ein Gänsehaut-Extra. Immer wieder.

Ab 2002 schwächte meine Liebe zur Ducati etwas ab. Ich hatte heiße Affären mit drei Supermotos und der dazugehörigen verrückten Szene. Die 748 wurde zum wenig beachteten Pendlermotorrad zwischen Wohnung und Supermoto-Garage. Sie ertrug dieses Kurzstrecken-Geschinde stoisch, jammerte nicht über die Vernachlässigung und den sparsamem Einsatz von Mamis Waschmittel, sie trug sogar die Spuren vom Parken im Freien – Stichwort Vogelkacke – mit Stolz.

Ab 2008 fuhr ich die Ducati kaum noch – Babypause. Die 748 verbrachte ein Jahr in einer modrigen Tiefgarage, dann ein weiteres unter dem zu kurzen Vordach eines Schweizer Einfamilienhauses. Sie wurde unter meterhohem Schnee begraben und legte sich im Tauwetter des Frühlings in den Schlamm des Vorgartens. Ich versuchte, das mit einem Platz im Wohnzimmer gut zu machen, irgendwie …

… und ich dachte an eine Trennung. Aber wer würde eine Ducati mit über 50.000 km kaufen wollen? Ich fand niemanden.

2016 zog ich sie auf einem Hänger ins Schweizerische Basel: Start zu einer sportlichen Reise durch das Vercors und in die Cevennen, im Schlepptau von RR-BMWs und 1290er KTMs. Die hoffnungslos untermotorisierte Ducati schlug sich tapfer, dröhnte schräger als erlaubt durch die Schluchten des Südens und zerrieb einen kompletten Reifensatz auf dem französischen Asphalt. Meine alte Liebe zu ihr flammte wieder auf, auch wenn meine Schultern, Nacken und Handgelenke wochenlang schmerzten.

Auf große Fahrt: Die Ducati 748s am Viaduc du Millau

Auf große Fahrt: Die Ducati 748s am Viaduc du Millau

In meine Garage zogen modernere Motorräder ein, mit ABS, Internet und Raumfahrttechnik: KTM LC4 690 Duke III. KTM 1290 Superduke R. Zero SR/F. Sogar ein Road King von Harley, man stelle sich vor. Die Ducati aber behauptete ihren Stellplatz stoisch. Mit ihrer hemdsärmeligen, zeigerwackelnden Technik ist sie nun der maximale Gegenpol zur hypermodernen Zero. Sie trägt das Kleid der Einsitzer-Version, hat Upgrades an Bremse und Kupplung erhalten (Radialpumpen) und wird regelmäßig vom Mechaniker gewartet, der sie im fernen Frühjahr 2000 aus der Transportkiste geholt hat. Die originalen Auspuffe sind spruchstarken Carbon-Gianellis gewichen, als Reminiszenz an mein allererstes Mofa, das ich ebenfalls so aufgerüstet hatte. Und weil ich damit ja auf Reisen gehe, fährt sie auch einen Scottoiler spazieren.

Edles Bremsen-Komponenten für die kleine 916

Edles Bremsen-Komponenten für die kleine 916

Reminiszenz an mein erstes "Motorrad": Gianelli-Auspuffe

Reminiszenz an mein erstes „Motorrad“: Gianelli

Sie fährt sich selbstredend immer noch anspruchsvoll, verlangt für dynamisches Vorankommen den ganzen Körpereinsatz. Sie hat relativ wenig Leistung – verglichen mit aktuellen Literbikes im Grunde gar keine – dafür erlaubt ihre jetzt messerscharfe Bremsanlage keine Fehler.

Sie trägt die Spuren von 24 Jahren und 96.000 Kilometern. Das viele Carbon ist stumpf geworden und verblichen, der Verkleidungskiel bis auf die Grundierung sandgestrahlt. Die Felgen erzählen von ungezählten Reifenwechseln, die Zündschlüssel sind abgenutzt und verbogen. Und: Die Kurven meines Wohlstandskörpers passen nicht mehr elegant zwischen Tank und Sitzbank.

Im Sommer 2023 werden wir die 100.000 km knacken

In der Saison 2025 werden wir die 100.000 km knacken

Aber wenn sie dann auf der Passhöhe des Stilfserjochs steht, zwischen ihren MotoGP-Nichten mit V4 und 200 PS, zwischen Boden-Boden-Raketen aus Bayern und Japan, die demnächst per Software-Updates alleine fahren können, dann zieht sie immer noch alle Blicke auf sich.

Italienisches Heißblut: meine Ducati 748s

Italienisches Heißblut: Meine Ducati 748s

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion
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