Ein reißerischer Titel, ich weiß. Ich erwähne gelegentlich, dass meine Hausstrecke, die Straße, die ich mit meinen Motorrädern am liebsten fahre, das berühmte Stilfser Joch ist. Mir geht es sehr gut dabei, anderen nach einem Umfaller wohl nicht. Dass sich Leute darüber lustig machen, geht mir gegen den Strich. Es reicht!
Das Stilfser Joch ist erstmal einfach ein Alpenpass, hervorgegangen aus einem uralten Saumweg, gewachsen aus wirtschaftlichen, politischen, militärischen, irgendwann auch touristischen Gründen. Es ist der höchste Pass Italiens. Sofern man auf asphaltierte Fahrbahn und Pass im Wortsinn besteht, geht es im gesamten Alpenbogen nur am Col de l’Iseran eine Handvoll Meter höher hinaus.
48 Kehren schrauben sich auf der Ostrampe den Berg hoch. Abwechslung ist sicher: Unter ihnen gibt es enge und unübersichtliche, weite und gut einsehbare, im Schatten des Waldes oder in der Hitze der prallen Sonne gelegene, durch kurze oder lange, durch gerade oder kurvige Abschnitte verbundene. 1800 Höhenmeter verteilen sich auf 20 Kilometer Länge. Fazit:
DIE perfekte Straße
für komprimiertes Motorradfahren.
Ich betone: MEIN Fazit.
Für Radfahrer ist der Stelvio „Ihre Majestät“. Es gibt biestigere Anstiege, es gibt längere Rampen, es gibt herausfordernde Pässe – aber die Eroberung des Stilfser Jochs mit dem Fahrrad ist unbestreitbar der Höhepunkt. Vielen Motorradfahrern geht es ähnlich. Reiseberichte, Tourenvorschläge, Social Media – alles spricht vom Stilfser Joch als den Pass, der einmal im Leben gefahren werden „muss“. Man kann es sehen und hören: Mehr als die Hälfte aller Fahrzeuge, die sich das Hin und Her bis hoch zur Cima Coppi geben, sind Motorräder.
Allerdings kommen nicht alle unbeschadet oben an. Benzinflecken von umgekippten Maschinen gehören zum Stilfser Joch wie die Dämpfe der Bratwurstereien. Bruchstücke von Brems- und Kupplungshebeln, verziert mit Splittern von Blinkergläsern, verteilen sich um die dunklen Flecken. Der Südtiroler Straßendienst wird sich darum kümmern.
Eine Straße
mit viel Gefälle
Warum ist das so? Objektiv betrachtet ist die Straße nichts Besonderes. Sie ist von oben bis unten asphaltiert, zweispurig angelegt, die Kehren verlaufen flach, die Steigung ist moderat. Eigentlich sollte jeder, der umfallfrei um einen eng geschnittenen Kreisverkehr kommt, die Stelvio-Serpentinen ohne Probleme fahren können. Aber:
Es fehlt die Übersichtlichkeit. In den Scheitelpunkt ragende Stützmauern verhindern den Blick ums Eck. Es braucht einen langen Hals und einen gelenkigen Nacken, um Gegenverkehr vor dem Einlenken zu erkennen. Wie es kehrenausgangs weitergeht, ist nicht immer einsehbar – alles, was von oben entgegenkommt, erscheint ziemlich kurzfristig im Blickfeld.
Das kann stressen und den Flow hemmen. Zwei, drei Schrecksekunden reichen und schon verspannt sich der Schulterbereich, der Blick wandert immer näher vor das Vorderrad. Schnell ist die Blickführung verloren. Hinzu kommt:
Die Fahrbahn fällt in den meisten Kehren nach innen ab, was sich bei den geringen Geschwindigkeiten etwas seltsam anfühlen mag. Das bedeutet auch: Das kurveninnere Bein ist plötzlich ein paar Zentimeter weiter vom Boden entfernt als gewohnt.
Ich schmeiß
mich weg.
Wir haben also ein Konglomerat von Zuständen, die der an die Strecke nicht gewohnte Motorradfahrer in Kombination eher nicht kennt:
- Eine leicht stressige Gesamtsituation
- Mangelnde Übersicht
- Instabiler werdendes Motorrad
- Eventuell nicht passender Gang gewählt
- Zu kurzer Blick vor das Vorderrad, oder: Blick auf die gegenüberliegende Felswand
- Plötzlich viel mehr Bodenfreiheit
Kommt dann auch noch Gegenverkehr ins Spiel und präsentiert sich nicht komplett auf seiner eigenen Fahrspur, ist das schreckhafte Zucken des Bremsfingers eine häufige Reaktion. Das Motorrad bleibt ruckartig stehen, drängt nach innen, das Bein fußelt ins Leere, der Fall ist unvermeidbar.
Big
Brother ..
Am Stilfser Joch fällt niemand ohne Zuschauer. ActionCams an drei Meter langen Sticks filmen in alle Richtungen, DashCams dokumentieren in HD, mehrere Kurvenfotografen begehren die besten Spots. Kein Wunder, dass Social Media ein dankbarer Empfänger für diese Fallbespiele ist. „Best of Stelvio“-Videos erreichen Zehntausende von Aufrufen und holen die Supertypen aus den Löchern, denen „so was“ natürlich niemals passieren könnte.
Reaktionen
der Supertypen
Was halte
ich davon?
Fallsucht am Stilfser Joch gab es schon immer. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich geholfen habe, ein umgekipptes Motorrad in die Vertikale zu heben – auch das im Aufmacher zählt dazu. Aber in keinem Fall (sic!) gab es irgendeinen Grund, sich darüber lustig zu machen. Im Gegenteil: Es gab immer eine nachvollziehbare Erklärung für das Umfallen. Einige sind oben gelistet – die Liste ist lange nicht komplett.
Die Richtung, in die sich die Stimmung in der digitalen Motorradszene aktuell bewegt, ist eine kuriose. Natürlich ist Social Media NICHT das richtige Leben – auf Facebook, TikTok und YouTube geht es um Click and Run-Unterhaltung. Im richtigen Leben skandiert am Stilfser Joch niemand „Führerschein abgeben!“ in Richtung eines gefallenen Kollegen. Hoffe ich jedenfalls …
Leute haben Zeit, sich über Umfaller lustig zu machen und irre Kommentare abzusetzen. Dieser Post ist an diese Superhelden und Fahrkönner gerichtet:
Kollegen – ich glaube kaum, dass Ihr als Serpentinen-Spezialisten vom Himmel gefallen seid. Und ich wette, auch Ihr seid erleichtert, wenn Euch jemand auf die Räder hilft, wenn es Euch gewürfelt hat. Ohne sich über Euch lustig zu machen …
Deinen Unmut kann ich sehr gut nachvollziehen. Manchmal möchte man in solchen Situationen sicherlich diese Dinge gerne persönlich unter 4 Augen mit den Postern „besprechen“. Macht aber keinen Sinn und ist reine Zeitverschwendung, denn jegliche Worte würden ins Leere gehen und die oder der Poster würde es wahrscheinlich noch nicht einmal verstehen, was du sagen willst.
Vielleicht darf ich dir einmal ein Beispiel in eigener Sache machen.
Vergangenes Jahr hatte ich auf Fb eine kleine Kampagne gestartet. Ziel oder Hintergrund war es, dass wir in Deutschland 3 neue BMW Motorräder gekauft hatten, welche nach Kroatien in unser Vermietungsbüro überführt werden sollten. Ich hatte angeboten, das Motorrad selbstverständlich kostenfrei (1300km) zuzüglich Spritkosten und die Verpflegung für die Überführungsfahrer zu übernehmen. Ein Motorrad hatte ich selbst gefahren und somit hatte ich also 2 Mitfahrer gesucht. Die Übernachtungen, sowie den Rückflug aus Kroatien (Split) nach Deutschland, hätten die beiden Fahrer allerdings selbst tragen müssten. Die Resonanz war unglaublich. Sicherlich waren sehr viel positive Kommentare bei meinem Post vorhanden, aber bei manchen, da musste man sich schon fragen, was geht nur in den Köpfen der Leute vor. Einige hatten mir tatsächlich vorgerechnet, was ich dabei sparen würde, wenn ich die Überführung auf diese Weise mache, anstelle eines LKW Transports. Den eigenen Vorteil hatten die Poster gar nicht sehen wollen oder konnten es nicht erkennen. Man hat es leider sehr häufig mit Menschen zu tun, welche, um es freundlich auszudrücken, nicht in der Lage sind über den Tellerrand hinaus zu schauen.
Wie auch immer, so ist das Leben und so sind manche unserer Mitmenschen.
Was ich aber auf alle Fälle feststelle und das ist eigentlich der Grund, warum ich hier so viel schreibe: Ich stelle fest, dass die Motorradfahrer, welche hier zum Beispiel bei uns den Balkan bereisen eigenartigerweise ganz andere Charaktere sind, als diese die die Alpen und wahrscheinlich „nur“ die Alpen, befahren.
Das sollte GANZ BESTIMMT keine Abwertung oder Kategorisierung ein, es ist nur eine festgestellte Tatsache.
Natürlich würde ich mich auch freuen, wenn Du eventuell mehr über uns und was wir tun erfahren wolltest. Du bist gerne eingeladen unsere Webseite einmal zu besuchen….
In diesem Sinne
DLzG
Wir betreiben eine FB-Seite für Reiseenduros, Dort haben wir mal einen Post gestartet, wem Umfaller passiert sind und wie es dazu gekommen ist, natürlich freiwillig. Es waren schon sehr amüsante Geschichten dabei.
Sich auf den vielbefahrenen Pässen an einen Spot zu stellen und Aufnahmen, egal ob Video oder Foto, zu machen ist das eine. Sich aber auf Kosten anderer „Klicks“ auf YT oder sonst wo „verdienen“ und die Betreffenden damit bloß stellen zu wollen ist ein absolutes NoGo. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass die Motorradfahrer damit einverstanden waren, dass ihre Umfaller öffentlich gemacht werden.
Ehrlicher Beitrag. Beiträge dieser Art sollte es viel mehr gebn, danke!
Ja, ich bin bei meiner ersten Tour über das Stilfser Joch im September 1987 mit meiner damaligen R80RT auf umgekippt. In der Kehre an der es zum Hotel Franzensbad, heißt das so ? geht. Zu lange überlegt ob ich dorthin abbiegen soll. Dann schaute ich sch… und so fuhr ich dann auch. So wie die BMW dalag konnte ich sie wieder aufrichten und weiterfahren.
Seit damals war ich etwa 20 x am Stilfser Joch. 2 x hab ich anderen geholfen um ihr Motorrad aufzuheben. 1 x auch am Umbrail.
Ich liebe das Stilfser Joch, auch wenn ich von anderen öfter wie irre dort hoch überholt wurde.
Die linke zum Gruße
Norbert
Du hast absolut Recht damit,es gibt keinen Grund sich über einen Umfaller zu amüsieren,anhalten,helfen und weiterfahren ist der richtige Weg.
Ich hatte bisher immer Glück und hatte keinen Umfaller im Straßenverkehr,bin aber vor 2 Wochen durch Unachtsamkeit an der Tankstelle nach rechts gefallen und lag zwischen Zapfsäule und ️ Recht unbequem und mein Buddy musste mich befreien.