Was ist die Magie einer Kurve?

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Die Kurve – geliebt, gefürchtet, gehasst und genossen. Für mich ist eine schön gefahrene Kurve DER Hauptgrund, Motorrad zu fahren, und vielleicht auch der einzige Grund, weshalb es Motorräder geben muss. Kann diese Magie beschrieben werden? Ich versuche es in einem Gedanken-Spaziergang.

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Ich bin unzählige Kurven gefahren, nicht mehr fassbar. Nach 25 Jahren motorbeschleunigten Lebens kann ich eines genau NICHT sagen: wieviel es waren. Allein nachzurechnen, wie oft ich auf das Stilfser Joch gefahren bin – es würde eine graue Schätzung, grau wie die Betonplatten in den 48 magischen Kehren im Sommer ’93, als ich das erste Mal mein erstes Motorrad in die Höhe trieb.

Nur einem kleinen Teil von uns Motorradfahrern widerstreben die Biegungen im Asphalt – ging mir in den ersten Wochen meines Zentauren-Daseins nicht anders. Das bis dahin gefahrene Mofa benötigte trotz Monster-Motor keine Schräglagen, das Kippen des Horizonts war mir nicht bekannt. Wheelies – ok, die bin ich schon auf dem Kleinkind-Dreirad gefahren. Aber Schräglage, das war etwas ganz Neues, und mein kleines, blau-weißes Sportgefährt, die Suzuki RGV 250 Γ, gierte danach.


Mein erstes Werkzeug, um die Magie „Kurve“ zu erleben ..

Die ersten Ecken – für „Kurven“ war die gefahrene Linie noch zu holprig –, um die ich mit dem 60 PS starken und 130 kg leichtem Motorrad zitterte, waren jene von Schluderns nach Mals und umgekehrt. Die erste, am Dorfausgang von Schluderns, ließ ich dabei immer lieber aus und wählte die Gerade durch die Landwirtschafts-Slums meines Heimatdorfes, über Kopfsteinpflaster und Rindvieh-Hinterlassenschaften.

Ich meine, die Erfahrung gemacht zu haben, dass Kurven immer schon auf den Geraden beginnen. Am Tag Eins meines Motorradfahrer-Lebens war das auf jeden Fall ganz bestimmt so, denn beim ersten Griff in die Suzuki-Bremse stieg ich um ein Haar nach vorne ab, noch weit vor dem Einlenken. Irgendwann, Jahre später, lag es dann an zu effektiven Bremsen, dass die Kurve zwar noch weit weg, das Motorrad aber schon zu langsam war.

Was ist der Reiz
 an der Kurve?

Ist es das manchmal etwas schnelle Auftauchen nach einer zünftig gefahrenen Geraden? Ist es der Adrenalin-Schub, wenn man diesen einen berühmten Meter zu spät an der Bremse zieht? Ist es das Suchen der schönsten Linie durch die Kurve?

Oder ist es die Gewichtsverlagerung, Sekundenbruchteile vor dem Einlenken? Ist es das Abspreizen des inneren Knies?

Ist es der Zug am Lenkerstummel, das bestenfalls optimal koordinierte Zusammenspiel von Kupplung, Schalthebel, Gasgriff, Fuß- und Hand-Bremshebel, von dem Autofahrer keine Ahnung haben? Ist es das Positionieren der Fußspitzen auf den Rasten, das Verschieben des Hintern in die richtige Stelle auf der Sitzbank?

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KTM 1290 Superduke R – DAS Kurvensuchgerät

Ist es das Sirren der Bremsscheiben, das Eintauchen der Gabel, das zunehmende Gewicht auf den Handgelenken? Ist es das langsame Abgleiten in Schräglage? Das Verlassen des Aufrechten, das Fallen in Richtung rauer Asphalt?

Ist es das Erreichen dieses magischen Punktes, ab dem das Motorrad nicht mehr weiter in die Schräge will? Ist es die Kraft, die einem nun leicht in die Sitzbank drückt?

Dieser
 magische Punkt ..

Ist es das grobe Rupfen und Kratzen am Knieschleifer, in den ganz tiefen Momenten? Ist es das Ausschütten von diesem ganz besonderen Stoff, der dann durch den Körper strömt? Ist es der Wechsel vom Fahren zum leichten Gleiten, sobald das Knie den Boden küsst?

Ist es der Blick nach vorne, um das Rund herum, das Suchen des schönsten tangenzialen Weges, das Zirkeln auf der imaginären Linie vor dem Vorderrad? Ist es das bestenfalls ruckfreie Wieder-Gas-Geben? Ist es der Wechsel von bremsender zu schiebender Motorkraft? Ist es das Gewichtswandern von vorne nach hinten?

MotorProsa: Blog Post Die Magie der Kurve - 1

Die SR/F auf dem Stilfser Joch, meinem „Kurvenreich“ ..

Ist es dieses Reinfühlen in den Hinterreifen, in die Haftung zwischen Straße und Gummi? Ist es das Warten auf den kleinsten Rutscher, das Hoffen auf einen Slide, ist es am Ende doch die Freude darüber, dass der Grip auf der sicheren Seite war?

Ist es das Zerren an den Handgelenken, das Ziehen der Rucksack-Riemen an den Schultern? Ist es das Ausfedern der Gabel, das Leicht-Werden des Vorderrads? Ist es das Zucken der Drehzahlmesser-Nadel? Ist es das Lauter-Werden des Motors, des Auspuffs, das sich ändernde Singen des Getriebes?

Tanzen
 im Leder ..

Ist es das Tanzen im Leder, mit 230 kg Metall, Kunststoff und Gummi, 15 Litern Benzin und 4 Litern Öl? Ist es das schwerelose Fliegen-Lassen von Tausenden von Euros? Ist es das Malen von unsichtbaren Linien auf Straßen, Wegen, Pfaden?

Sind es die Schmerzen in den Unterarmen, vom Kuppeln, Bremsen, Sich-Festhalten, Einlenken, Abstützen? Sind es die brennenden Muskeln in Ober- und Unterschenkeln, vom Schalten, Bremsen, Fußrasten-Drücken, Körper-hin-und-her-Heben?

Es ist
 irgendwie ..

.. alles davon, es bleibt unbeschreiblich, speziell. Jede Kurve ist immer einzigartig, und fährt man sie auch tausend Mal. Das eine Schlagloch, in dieser einen Kurve, das trifft man verlässlich, IMMER.

MotorProsa: Blog Post Die Magie der Kurve - 3

Alpenpässe und mein Motorrad – das ist Magie ..

Die Kurve: Die Essenz
 des Motorradfahrens

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18 Gedanken zu „Was ist die Magie einer Kurve?“

  1. Tanz im Leder,-
    die „200“ km hab ich als „Kg“ verstanden

    bin faul geworden mit meinen fast 70 Jahten. Lasse mir von einem DCT „helfen“.
    Kommt mir fast so vor,
    als würde der Kurvengenuß noch größer.
    Ein Dank an den Autor und an unseren Planeten.
    Der so viele schöne Straßen mit Kurven, hoch und runter, ermöglicht.

    Antworten
  2. Oh das ist so genial geschrieben! (Auch wenn ich von Knieschleifen, Lenkerstummel und so nix versteh weil mein Transalp-Traktor immer brav und züchtig um die Kurve bollert.)

    Danke dafür!
    Angelika

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