Supermoto – das irrsinnigste Vergnügen auf zwei Rädern, das man sich als Motorradfahrer vorstellen kann. Damit habe ich mich nicht nur an die Grenzen meines Fahrkönnens herangetastet – ich habe sie eingerissen ..
Ein herrlich verrückter Sport, selbst wenn man ihn nur in Ansätzen so betreibt wie die Cracks der Szene: Aktives Arbeiten mit dem Motorrad, Ellenbogen nach oben, Beine raus, die Maschine drücken und – ganz wichtig – ein ernsthafter Blick. Auch wenn Letzteres vor lauter Spaß schwer fällt ..
Ich fand mich 2002 im Sattel einer 640er Supermoto von KTM wieder. Schon am Tag der ersten Fahrt konnte ich mich wegen eines Ganzkörper-Muskelkaters kaum mehr bewegen. Dabei kam ich bei dieser Fahrt noch nicht einmal auf meinen Hausberg, dem Stilfser Joch – nach knapp der Hälfte der Strecke musste ich wegen Atemnot aufgeben. Ich war komplett fertig.
Deswegen
Sport
Meine 640er war eine Enduro, die KTM einfach auf breite 17-Zoll-Räder stellte. Der Rest des Fahrwerks blieb im Wesentlichen unverändert – butterweich, wenig gedämpft, lange Federwege. Der riesige vordere Enduro-Kotflügel winkte freundlich in den Gegenverkehr, das Cockpit kam mit Tacho und einer Handvoll Lämpchen, deren Funktion aber nie ganz klar war, aus. Dazu gabs einen Race Only-Auspuff mit starkem Spruch. Das tat mir leid, aber nur offiziell.
Du hässliches Motorrad. Den nach hinten abfallenden Kotflügel und das Rücklicht in Form eines Pavian-Arsches hasste ich von Anfang an. Aber für ein schönes Motorrad war kein Geld da. Solch‘ billige Brems- und Kupplungshebel hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Der Tacho unterhielt mich mit motiviert schwankender Nadel und beleidigte mich mit seinem Aussehen. Der Lenker war ein stumpf gebogenes Rohr, die Gabelbrücke matt und zerkratzt, der Gepäckträger ein billiges, hellgraues Plastikdings *würg*. Der Vorbesitzer hatte überall schimmelblau eloxierte Schräubchen montiert und deren Köpfe vernudelt. Schiach.
Aber: Beim ersten zornigen Gasgeben verflogen die Gedanken an die Optik und fanden erst wieder nach der Fahrt zurück ins Bewusstsein. Der große Einzylinder stampfte klangstark, riss das Vorderrad vom Boden, verschluckte sich im Schiebebetrieb, feuerte Mann und Maschine hemdsärmelig durch die Gegend. Die Vibrationen am Lenker, das Rütteln in den Fußrasten oder das selbstzerstörerische Scheppern des Motors bekümmerten mich wenig – ich war von der 748 Ärgeres an Mechanik-Dissonanzen gewöhnt. Zumindest akustisch.
Und: Die 640er war umwerfend handlich. Buchstäblich. Die hohe Sitzposition, der freie Blick nach vorn und der breite Lenker erinnerten eher an ein Mountainbike. Passend dazu lehnte sich der Fahrstil, den ich innerhalb kürzester Zeit auf der KTM entwickelte, an das Wüten auf einem BMX-Rad an. Die Ducati fuhr sich im Vergleich wie ein schwer bepacktes Holland-Rad mit Einkaufskorb am Lenker.
Wüten
wie auf einem BMX-Rad
Im Sattel der Supermoto veränderten sich nicht nur die Kurven meiner Heimat – auch die Geraden sollten nie mehr sein wie vorher. Auf Strecken, die länger als zwei Kilometer geradeaus verliefen, stellte ich mich entweder in die Rasten oder begab mich in den Damensitz, fuhr dann kaum schneller als 100 km/h. Vergessen war das unvermeidliche Entsichern der Ducati auf längeren Geraden.
Kurven bremste ich nicht mehr an, sondern kickte auf den letzten Metern ein paar Gänge durchs Getriebe, legte aggressivst um und hoffte beim Zug am Gas auf ein bis dahin gefürchtetes und auf jeden Fall zu vermeidendes Ereignis: Ein rutschendes Hinterrad. Schon nach wenigen Tagen erweiterte ich diese Hoffnung um ein rutschendes Vorderrad. So kam es, dass nicht nur das Thema „Angststreifen“ schnell keines mehr war, sondern auch das viel beträumte Knie auf dem Boden Realität wurde.
Zahllose Funken von Fußrasten und metallbewehrten Stiefelspitzen flogen, und wegen der schräg abgeschliffenen Sohlen konnte ich nicht mehr geradeaus laufen. Es war herrlich!
Schräger
als wie dem Sport!
Es begann die Zeit des schnellen Reifentötens und der Weichteilschmerzen. Supermoto ist schräger als wie dem Sport (sic!), und nur quer siehst Du mehr. Die wenig befahrenen Wege und die großen Parkplätze der Lagerhallen meiner Heimat mussten als Trainingsorte für Drifts und Wheelies mit vielen harten, schmerzhaften Landungen herhalten.
Stunts und lächerliche Verrenkungen auf und unter dem Motorrad verkürzten den Winter, recht schnell wünschte ich mir ein strafferes Fahrwerk und eine potentere Bremse. Dass das eine gute Idee war, bestätigte auch MOs Supermoto-Instruktor Oli auf der Rennstrecke von Castelletto mit seinem Spruch „Junge, Du bist zu schnell für diesen Kübel“.
Minuten nach diesem Spruch flog ich in hohem Bogen von meiner 640er. Trotz schwacher Bremse bremste ich heftiger und querer als mein Hintermann, der mich dann mit Schwung von der Strecke räumte. Meine fliegende und auf mir landende KTM brach mir die linke große Zehe. Lustig – die Augen der Sanitäterin leuchteten sehr viel blauer als meine Blutergüsse; im Krankenwagen nach Pavia war ich tatsächlich ein bisschen glücklich darüber.
So verrückt
ist Supermoto
Die 640er ging nach diesem Gemetzel zurück an den freundlichen KTM-Händler, denn ihre Nachfolgerin, die 625 SCSM, war, wohl in weiser Voraussicht, schon bestellt: Orange wie die Nacht finster und vollkommen Ready to Race. Ohne E-Starter, ohne Batterie, ohne Sozius-Rasten, ohne Tacho (funktionierte eh nie), nach ein paar Tagen sogar ohne Hupe – die Vibrationen schüttelten sie davon. Die 625er war unfassbare 30 kg leichter und über 10 PS stärker als die 640er, ihr Fahrwerk straff, die Federwege kurz. Die Bremse war schwach, ich investierte vierstellig in eine renntaugliche Anlage. Das Geilste an der SCSM war jedoch der scharf ansprechende Flachschieber-Vergaser. Dank ihm beherrschte ich den Ritt auf dem Hinterrad und das Driften auf der letzten Kante mit traumwandlerischer Sicherheit.
Das Pavianarsch-Rücklicht trug sie allerdings auch, und ich hasste es.
Mit der 625 SCSM begann die Zeit des Alpenterrors. Über 40.000 Vollgas-Kilometer und Dutzende Reifen ließ ich damit hinter mir. Ich nahm mehrere Bodenproben auf den Pässen und Rennstrecken dieser Welt, fiel dabei zum Glück nie tief und meine restlichen Zehen blieben heil. Ring- und Karthallen-Auftritte waren dabei, auch Langstrecken-Wettbewerbe, die ich aus Erschöpfung – na sowas? – nie beenden konnte. Ich gab begehrte Autogramme als vermeintlich italienischer Supermoto-Meister und musste die Maschine 2009, nach vielen Jahren heftigsten Spaßes, mit Tränen in den Augen verkaufen. Babypause …
Was
blieb?
Im Keller stehen zwei Paar Cross-Stiefel mit an den Seiten zentrifugierten Sohlen. Daneben hängt der eng gewordene Ledereinteiler mit Spuren von Kartbahn-Gummi und Rennstrecken-Asphalt. Sturz- und abvibrierte Teile liegen in einer Bananenkiste und verstauben. Viel wichtiger aber sind die Erfahrungen von damals:
- Die Angst / der Respekt vor (ordentlicher) Schräglagen ist überwunden –
ich kann in Notsituationen immer noch ein wenig schräger fahren - Die Angst vor rutschenden Reifen ist weg –
ich kann auf ein driftendes Motorrad richtig bzw. überhaupt reagieren - Ich kann ein überbremstes Hinterrad kontrollieren
Noch wichtiger ist:
- Ich habe meine fahrerischen Grenzen mehrmals überschritten –
kann also nun einschätzen, was (mir) auf einem Motorrad möglich ist - Ich habe den Drang nach Wettbewerb ausgelebt –
kann also nun souverän auch als Zweiter am Pass ankommen
Und GANZ wichtig:
- Ich kann Wheelies fahren
- Ich kann mit abgehobenem Hinterrad bremsen
- Ich kann mit dem Knie am Boden fahren und
- Ich kann für Eisdielen-Unterhaltung sorgen 😉
An kein Motorrad denke ich lieber zurück als an die 625er SuperComp – und das, obwohl
- die Maschine weder für längere Fahrten taugte (zu hart die Sitzbank, zu klein der Tank)
- sie nach viel Wartung verlangte (Ölwechsel alle 1.500 km)
- sie keine hohen Dauergeschwindigkeiten vertrug (wegen nur 1 Liter Öl im Motor)
- weder Licht noch Tacho noch Hupe jemals ordentlich funktionierten
Ich war damit immer mit einem Lächeln unterwegs. Selbst als ich nachts im Regen in einer Kehre des Splügen den Schalthebel verlor, fand ich das lustig. Der Spaß verging mir auch nicht, als ich an einem schlammigen Abhang kopfüber unter ihr lag und mich nicht mehr befreien konnte. Minutenlanges Kicken bei heißem Motor nahm ich – meist – sportlich hin.
Das Ding im zweiten Gang, einzig durch einen kurzen Dreh am Gasgriff, aufs Hinterrad zu stellen und dann Richtung Horizont zu wheelen, beim Anbremsen der Stilfser Joch-Kehren schwarze Striche zu ziehen und dann um die Serpentinen zu sliden – das hatte seinen komplett verrückten Reiz.