Spannend – Elektrisch durch die Schweiz

MotorProsa: Elektrisch durch die Schweiz - am Ofenpass
Lesedauer // Reading time: 10 Min.

Auf geht’s – zur ersten Reise mit meiner Zero SR/F. Auf Einladung von Schweiz Tourismus nehme ich an der „E-Grand Motorcycle Tour of Switzerland“ teil – und mach‘ ich mich auf den Weg in den Schweizer Kanton Obwalden.

340 km Anfahrt – ist das elektrisch überhaupt machbar? Werde ich die Strecke an einem Tag schaffen? Und wie sehr werde ich mich dabei langweilen?

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Die Route 66 kennt wahrscheinlich jeder. Aus seinen Träumen und aus denen von Anderen. Die Straße, die jeder Motorradfahrer einmal im Leben erlebt – nein, erfahren – haben muss. Und ja, auch eisenharte Racer fahren dort eine Harley. Es muss stilvoll sein. Leider quert sie die etwas weit entfernten Vereinigten Staaten und ist auf vielen Abschnitten wohl nicht mehr so befahrenswert, wie der Mythos das transportiert. Aber hey – MYTHOS!

Meine persönliche Route 66, mein täglicher Arbeitsweg, der wohlwollend gerechnet und mit ein paar Umwegen auch 66 km lang wird, quert den östlichsten Grenzübergang der Schweiz. Das Land gibt mir seit Jahren Arbeit und ist wunderschön – hinter dem Schlagbaum beginnt jedes Mal eine neue Welt für mich. Die Sprache der Einheimischen ist wie Musik, die Häuser sehen anders aus, das Gras ist grüner als in Südtirol.

Aus meinem Büro blicke ich in Richtung Umbrail- und Ofenpass, gerne gefahrene Sensationspässe für meine Motorrad-Leidenschaft. Eine knappe Stunde entfernt windet sich der Flüelapass durch die Bündner Berge – auf seiner Rampe hinunter nach Davos steht ein auffälliges, rotes Emblem: ein Foto-Spot der Grand Tour of Switzerland – die Swiss Made-Prachtstraße. Zwar ist sie ein gutes Stück kürzer als die auf der anderen Seite des großen Teichs, liegt aber nur einen (ok, weiten) Steinwurf von meiner Haus- und Bürotür entfernt. Bis heute bin ich immer ungebremst an diesem Emblem vorbeigefahren, aber ab heute wird es anders sein …

E-Grand Motorcycle
 Tour of Switzerland

Denn ich bin – auf Einladung von Schweiz Tourismus – unterwegs in das 340 km entfernte Sarnen im Kanton Obwalden. Dort startet erstmals die neu entwickelte E-Grand Motorcycle Tour of Switzerland, und sie soll der Welt zeigen, dass die Schweiz auch auf Elektro-Motorrädern bestens bereist werden kann. Klar, dass ich ab jetzt Ausschau nach weiteren Grand Tour-Emblemen halten werde, und ich – obwohl ich es könnte – nicht meine Harley fahre, um das stilvoll zu erledigen.

Mich bringt meine Zero SR/F über die italienische Landesgrenze. Ein vollelektrisches Naked Bike – bei Verlangen bärenstark, aber leise, ultramodern und so ganz anders: der Motor ist Akku, das Getriebe ist Motor, der Tank ist Staufach, der Gasgriff ist Bremse. Und: mein Motorrad kommt aus Kalifornien, wo die Main Street of America endet. Es fährt also auch irgendwie der „Mythos“ mit.

Reichweiten-Sorge
zu Beginn

Es ist frisch. Schon in Valchava zieht die Zero überraschend viel Feuer aus dem in der Nacht ausgekühlten Power-Pack. Ich überlege kurz, die Ladesäule der Biosfera Val Müstair in Tschierv zu nutzen, um dem Akku ein wenig wärmer um’s Herz zu machen – und überlege es mir dann doch anders. Hinter dem Ofenpass geht es schließlich fast nur noch bergab.

Die Zero SR/F macht es mir leicht, durch die Kehren des Fuorn zu segeln, und ihr geräuscharmes Dahinrollen passt bestens hierher, mitten in den Schweizer Nationalpark. „Little Canada“ – bei jeder Fahrt durch die sich selbst überlassene Natur, entlang von gefallenen und vermodernden Bäumen, entlang der Schluchten des Ofenbachs, kommt mir die Wildnis Nordamerikas in den Sinn. Ich war noch nie dort, aber dort kann es nicht anders sein.

An der Plug’n’Roll-Ladesäule am Bahnhof Zernez bekommt die SR/F Ökostrom, problemlos – wenn auch etwas teuer – über meine Plugsurfing-Card abgerechnet. Etwa 60% der Akku-Kapazität blieben auf den bisherigen 70 km auf der Strecke – schon in Tschierv nachzuladen, wäre sinnlos gewesen. Spontan lässt meine Reichweiten-Sorge nach.

Elektrisch durch die Schweiz: 1. Ladestopp in Zernez

Elektrisch durch die Schweiz: Ladestopp in Zernez

Etwas mehr als eine halbe Stunde später lenke ich die Zero in Richtung Sankt Moritz. Ich nehme mir die Zeit, um S-chanf und Zuoz zu besuchen – im Auto geht’s an diesen urigen, steinigen Dörfern, oben am Hang, meist einfach zügig vorbei. Heute finde ich wunderschönes Kopfsteinpflaster und kunstvolle Sgraffito-Fassaden, garniert mit Kuriositäten und – ausgerechnet – amerikanischen Oldtimern. Freundliche Gesichter von den wenigen Menschen an der Straße sind der Dank für mein Zeitnehmen.

Entdeckungen
 am Wegesrand

In La Punt versteckt sich ein Grand Tour-Emblem am linken Ufer des Inn, blickt auf die Chesa Merleda, ein prächtiges Ensemble aus altehrwürdigen Häusern. Ich grüße kurz und biege zum Albula-Pass ab, um mich bei Prachtwetter die Serpentinen hochzuschrauben. Ich erinnere mich an die Bezwingung dieser imposanten Strecke mit dem Fahrrad anlässlich einer SlowUp-Veranstaltung, freue mich über die fast schon kitschig schöne Landschaft hinter dem Pass und dem Wunder der Rhätischen Bahn, die sich hier zwischen den Berghängen hin und her windet, im Fels verschwindet und an unerwarteter Stelle über gigantische Viadukte fährt.

Elektrisch durch die Schweiz: die Rhätische Bahn fährt mit dem gleichen Strom ;-)

Natürlich fährt auch die Rhätische Bahn elektrisch

Eine zwar schon oft durchfahrene, aber immer noch unbekannte Gegend für mich – also besuche ich Filisur, denn das Hinweisschild „Landwasser-Viadukt“ verspricht den Blick auf eines der Wahrzeichen der Schweiz. Es bleibt beim Versprechen – ich mag für den Fußmarsch zur Aussichtsplattform mein vollbepacktes Motorrad nicht unbeaufsichtigt lassen. Also weiter.

Thusis ist mein nächster Stopp. Ich verbinde meine SR/F erneut mit einer Plug’n’Roll-Ladesäule und genieße die Bündner Sonne, in der meine Schokoriegel dahinschmelzen. Nur wenige Kilometer entfernt befindet sich ein weiteres Highlight der Grand Tour of Switzerland, inklusive Foto-Spot: die Viamala-Schlucht. Auf meinem Smartphone sind noch die Fotos meines letzten Besuchs gespeichert – beeindruckend, einzigartig, ein Abstieg in die Tiefe war und ist selbst für mich Höhenängstler ein Muss.

Lieblings-Pässe,
 endlich ..

Mein Ziel liegt jedoch in der anderen Richtung. Der Bessere Routenplaner schlägt Disentis/Mustér in der Surselva als nächsten kurzen Ladestopp vor – ich freue mich auf den Anblick des gigantischen Benediktiner-Klosters, das über Disentis thront, und – natürlich – auf die anschließende Fahrt über den Oberalp-Pass. Unter mir, in der Rheinschlucht sogar ganz tief unter mir, strömt der junge Rhein in Richtung Chur – ich komme seiner Quelle näher, werde diese im schönsten Nachmittags-Licht erreichen, und auf dem Weg dahin doch noch mein Viadukt-Erlebnis haben.

Elektrisch durch die Schweiz: Sensationen

Die Landwasser-Viadukt-Alternative bei Sedrun

Den Leuchtturm am Oberalp-Pass grüße ich nur kurz, aber passend: per Lichthupe. Zu überlaufen ist mir der Parkplatz, also verschwinde ich zügig in der Galerie nach das Passhöhe und atme dort den Geruch der Furka-Oberalp-Bahn ein. Das ausdünstende Teeröl der haltgebenden Bahnschwellen erinnert mich an meine Kindheit und die Abenteuer auf dem Gleisbett der aufgelassenen Vinschgauer Bahn. Später fesselt mich der Blick über Andermatt hinweg in Richtung Furka- und Sankt Gotthard-Pass minutenlang. Mir ist der Verlauf der großen elektrischen Schweiz-Rundfahrt noch unbekannt, aber ich hoffe sehr, dass ich meine Maschine über die dort hinten, fern im Dunst, verblassenden Asphaltkringel fahren darf.

Ein letztes Mal für heute kable ich die SR/F in Wassen an frischen Schweizer Strom, hole mir ein paar Extra-Prozent Akku-Kapazität für den Weg nach Sarnen. Dabei lasse ich mir den Rücken von der vom Sonnenschein des Tages durchgewärmten Mauer neben der Ladesäule wärmen und blicke zufrieden auf die Abzweigung zum Sustenpass. Nur wenige Wochen zuvor habe ich hier, gemeinsam mit meinem Fotografen-Freund Uli von www.moppetfoto.de, eine Story für ein Motorrad-Magazin produziert, bin den Pass mehrmals mit wachen Augen gefahren – und habe mich dabei in dieses Straßenwunder verliebt.

Nun gehört der Susten mir fast alleine – er windet sich verlassen durch das nostalgische Meiental. Im Kopf lese ich mir mein Pass-Portrait nochmals vor und blättere durch Ulis sensationelle Fotos, während ich mit weiten Schwüngen und tiefen Schräglagen in Richtung Passhöhe schwinge. 

Und dann, beim Blick über das im Abendrot versinkende Haslital, beim Lichtspiel des sich im Nebel brechenden Sonnenlichts, setze ich mich auf einen Felsen und möchte am liebsten hier bleiben.

Elektrisch durch die Schweiz: Abendstimmung am Sustenpass

Abendstimmung am Sustenpass

In der Nacht wird der Sustenpass wegen Schneefalls gesperrt. Gut, dass ich mich – trotz aller Faszination – im letzten Licht durch die magischsten Kurven der Schweiz hinunter nach Innertkirchen geschwungen habe. Während der Fahrt nach Sarnen wird es dunkel, der Akku bringt noch 30% Kapazität mit ins Hotel. Nachts versinkt die Zentralschweiz im strömenden Regen, aber die Zero SR/F und ich sind im Trockenen. 

Alles richtig gemacht – die Anreise zur „E-Grand Motorcycle Tour of Switzerland“ ist geglückt!

Das Symbol von MotorProsa: die Füllfeder. Motorrad-Geschichten, geschrieben mit Passion

Fakten
 & Kurioses

StreckeRouteDistanzLadezeitVerbrauchKosten
Laas (IT) – Zernez (CH)https://kurv.gr/eRqMb67 km41 min4,2 kWh4,14 €
Zernez – Thusishttps://kurv.gr/mVhnG78 km38 min3,9 kWh3,99 €
Thusis – Disentishttps://kurv.gr/vQvdN67 km 40 min4,2 kWh4,53 €
Disentis – Wassenhttps://kurv.gr/uh2tf43 km16 min1,8 kWh1,81 €
Wassen – Sarnenhttps://kurv.gr/BdpBd82 km
337 km135 min14,1 kWh14,47 €

Die maximale Akku-Kapazität meiner SR/F (14,4 kWh) hätte die Fahrt nach Sarnen theoretisch in einem Rutsch möglich gemacht. Allerdings sind von den 14,4 kWh ’nur‘ 12,6 kWh effektiv nutzbar – ohne zusätzliche 2 kWh wäre ich also irgendwo kurz vor dem Ziel gestrandet.

Drei Ladestopps hätten für die zurückgelegte Strecke ausgereicht – der vierte Stopp in Wassen diente als Power-Puffer für das sportliche Vergnügen auf dem Sustenpass. Trotzdem wurde ich erst eine Woche später geblitzt – ironischerweise in Wassen …

Mein heimischer Ladetarif (30 ct/kWh) hätte die Anfahrt 2/3 günstiger ausfallen lassen.


Dankeschöns
& High Fives

Während meiner elektrisierenden Fahrten darf ich auf die Unterstützung mehrerer Partner zählen. Dafür bedanke ich mich herzlich mit einem hoch erhobenem Vorderrad!


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2 Gedanken zu „Spannend – Elektrisch durch die Schweiz“

  1. Hallo, das war aber ein toller Werbebericht. Waren die Ladestationen auch immer fre? Also, ich habe Mitte Mai ein Motorrad Tour durch das Ital. Hinterland nach Palermo, dann Albanien und zurück nach Meran gemacht . 5000 km. Eine Ladestation hab ich nirgends gesehen. Selbst wenn, bei einer dreiköpfigen Gruppe hätte die Reise 6 Wochen gedauert. Gruß U. L

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    • Hallo!
      Danke Dir für Deinen Kommentar. Möchte doch einige Dinge klarstellen:

      – Das war bzw. ist kein Werbebericht. Ich bin schließlich mit meiner eigenen Maschine und auf eigene Kosten gefahren.
      – Wie geschrieben, waren die Ladestationen immer frei und haben funktioniert.
      – Ich war nicht im italienischen Hinterland unterwegs, sondern in der Schweiz.
      – Ich gehe davon aus, dass Ihr Eure Tour durch Italien und Albanien auf Verbrenner-Motorrädern gemacht habt. Da werden Euch Ladestationen erstmal nicht interessieren und deswegen auch nicht auffallen.
      – Rund um Meran kann man Ladestationen nur übersehen, wenn man dies aktiv tut.
      – Zu Eurer Reisedauer kann ich nichts sagen.

      Allzeit gute Fahrt,
      Jürgen

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