Man stelle sich vor, jemand käme auf die Idee, mitten in den Alpen eine Straße, nur zum touristischen Vergnügen, zu bauen. Unvorstellbar? Nun, Ende der 1930er Jahre beschlossen Schweizer Behörden genau das: den Bau einer zeitgemäßen Pass-Straße über den Sustenpass. Eine Motorradstory von Moppetprosa.
Dieser Text erschien in der MOTORRAD, Europas größter Motorrad-Zeitschrift, Ausgabe 25.2021 (November). Das ist ein Auszug daraus.
Bis dahin ein eher unbedeutender Pfad, führt der Sustenpass seit 1946 bestens ausgebaut vom Fuß des Gotthard-Passes hinüber ins Haslital. Am Eröffnungs-Sonntag überquerten ihn 15.000 Fahrzeuge – das waren 12 % aller damals in der Schweiz zugelassenen Automobile. Das ist heute in der Tat unvorstellbar …
Die Natur hat es den bauenden Menschen hier nicht leicht gemacht, dennoch beugte sie sich. Dunkle, sich in den Berg windende Tunnels und zwischen den Felswänden klemmende Steinbrücken erlauben die Fahrt von Wassen über die tiefe Schlucht der Meienreuss. Massive Beton-Galerien stellen sich Lawinen in den Weg, stützen sich am Fels, ringen um Halt. Unwillkürlich gehen bei der Durchfahrt die Schultern hoch, in der Hoffnung, dass nichts von oben kommt, denn das wäre niemals etwas Gutes.
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So heftig der Aufstieg bei Wassen und die Fahrt über schwindelerregende Viadukte war, so unspektakulär schwingt sich nun die Straße durch’s Meiental, erlaubt das Cruisen in den ganz großen Gängen. Der Belag ist gleichmäßig und eben, die Bordsteine mit Schweizer Präzision gesetzt, sogar die bündig eingelassenen Kanaldeckel sind irgendwie schön.
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Am Talschluss stechen scharfkantige Felsnadeln in den Himmel, linkerhand stellt ein ins Nichts fallender senkrechter Berghang die Frage, die riesige Moränen an seinem Fuß beantworten. Selbst Anfang Juli liegt in immensen Felskesseln, einst Kinderstuben der Urzeit-Gletscher, blau schimmerndes Eis und vom Sahara-Sand eingefärbter Schnee. Ein steinernes Amphitheater für beeindruckende Natur-Dramen.
Die letzten Kehren überraschen weder mit engen Verläufen noch mit herausfordernden Steigungen. Einzig der Blick durch den Bündnerzaun, diese schmalhüftige Straßenbegrenzung, hinunter in die Tiefe kann Nerven reizen – aber ehe der Respekt vor den Abgründen überhand nimmt, spuckt der Scheiteltunnel des Sustenpasses seine Besucher auf die Passhöhe. Im Schatten von zahlreichen 3000ern eröffnet sich ein unvergleichliches Panorama mit Blick auf den mächtigen Steingletscher, seinen Schmelzwasser-See und die ihn flankierenden Bergriesen.
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Wir wären nicht in der Schweiz, würde auf gutes Aussehen nicht höchster Wert gelegt: alles verschandelnde, rostende und sich bei Feindkontakt verbeulende Leitplanken gibt es an den Rändern der 80jährigen Straße nicht. Wer sein Motorrad unfreiwillig verlässt, wird zum Steinbeißer, hat die Wahl zwischen Felswand oder einem der Begrenzungssteine. Blechener Unterfahrschutz an Metallstützen wäre ein Sakrileg an dieser steinigen Landschaft. Und: wir wären nicht in der Schweiz, würde das Postauto nicht seine Breite beanspruchen.
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Am besten wendet man in Innertkirchen und fährt nochmal hoch. Denn es war nicht nur in früheren Jahren ein beeindruckendes Erlebnis, diesen Weg über die Berge zu befahren – es ist es auch heute noch!
Der 2224 m hohe Sustenpass in der Zentralschweiz verbindet die Kantone Uri und Bern. Die Pass-Straße ist 46 km lang und hat ihren Ausgangspunkt im Westen in Innertkirchen, im Osten in Wassen. Bautechnisch spektakulär und mit sensationellen Panoramen führt er durch das Meien- und das Gadmental und bietet 23 zu durchfahrende Kehren.
Die Gründe für seinen Bau waren touristischer und auch militärischer Natur. Dabei wurde Wert darauf gelegt, das Bauwerk so gut wie möglich in die Landschaft einzubetten. Die Stützmauern sind mit Natursteinen verkleidet und die Strasse mit so vielen Tunnels, Felsdurchstichen, Brücken und Aussichtsplätzen wie möglich ausgestattet. Im oberen Verlauf gibt es sogar einen künstlichen Wasserfall.
Der Susten- lässt sich mit dem Grimsel- und dem Furkapass zu einer unterhaltsamen Pässe-Runde verbinden. Der Oberalp- und der Gotthard-Pass liegen ebenfalls in direkter Nachbarschaft.
Dankeschöns, High-Fives & Links
- Hotel Restaurant Urweider, Innertkirchen
Für die Unterkunft während der Produktion dieses Portraits, die absolut sensationelle Verpflegung und die vielen Informationen über die Pässe rund um Innertkirchen - Country Road Alpnach – Zero Zentralschweiz
Für die Motorräder, die technische Unterstützung und Isa – Danke für Dein Modeln!
Obwohl ich jedes Jahr in der Nähe bin, habe ich den Sustenpass noch nicht so oft befahren, wie die anderen drumrum. Aber das wird sich demnächst wohl auch ändern.
Zufällig war ich aber auch dieses Jahr mit einem Kumpel auch dort, auf dem Rückweg unseres 7 Pässe-Tages-Ausflugs ins Tessin.
Und wie ich schon auf Twitter schrieb: Als ich 2015 eine Zero SR in der Schweiz zur Probe fuhr, hatte ich leider nicht so viel Zeit über die Pässe zu fahren, da ging es nur kurz ein Stück Richtung Glaubenberg und nicht ganz rauf. Aber ja, das war damals auch schon toll.
(die hatte ich auch in Alpnach geliehen)
Wohl dem der das Urweider nicht am Montag besucht und die so sagt man tolle Küche geniessen darf!
Schöne Bilder mit Motorprosaischem Text!
Sehr schöner Bericht – weckt Erinnerungen.
Gruß Ralf