Er ist ein Mysterium – der „richtige“ Motorradfahrer. In Diskussionen auf Social Media ist er ständig präsent, aber niemand kennt ihn persönlich. Und doch weiß jeder, wie er denkt und was er tut. Noch ausgeprägter ist das Wissen darüber, was ein richtiger Motorradfahrer NICHT tut. MotorProsa geht dem mal nach.
Er muss ein Held, ein Idol, ein Vorbild sein. Er taucht spontan, aber verläßlich auf. Beginnt eine Diskussion mit „Ein richtiger Motorradfahrer …“, so nimmt sie entweder Fahrt auf oder wird im Keim erstickt. Je nach dem. Er inspiriert uns. Wer fährt, denkt und handelt wie ein richtiger Motorradfahrer, ist – nun ja – wohl auch einer. Zumindest arbeitet er daran.
Der richtige Motorradfahrer fährt natürlich ein richtiges Motorrad – eine schwere Maschine mit ordentlich Sound, erregenden Vibrationen und dem Duft nach Benzin und heißem Öl. Ein Motorrad mit Emotionen. Mopeds, Scooter und – der Gott der Mechanik bewahre uns davor! – E-Motorräder gehören niemals dazu. Bevor er sich derart erniedrigt und sich von seelenlosen Elektronen durch die Gegend schieben lässt, hängt er den Helm an den Nagel.
Ein richtiger Motorradfahrer fährt das ganze Jahr, bei Wind und Wetter. In ein Auto setzt er sich nur im Notfall. Für Ausfahrten, die kürzer als 200 Kilometer sind, startet er sein Motorrad erst gar nicht. An einem normalen Fahrtag legt er um die 800 Kilometer zurück, am liebsten in den Bergen. Die Autobahn meidet er, denn ein richtiger Motorradfahrer lebt für Kurven. Fotostopps macht er keine, und Biopausen nur, wenn die Blase brennt. Saisonskennzeichen? Das verwirkt den Status „richtiger Motorradfahrer“ sofort.
Er kennt sich aus, fährt immer geheime Strecken. Navi braucht er dafür keines, und er teilt seine Pfade mit niemanden. Während der Fahrt gibt es nur ihn und sein Motorrad – eine emotionale, innige Bindung. Kommunikationssystem kommt ihm nicht in den Helm, denn Stimmen während der Fahrt stören die Beziehung zwischen Mann und Bike.
Er fährt natürlich gottgleich: Den Reifen bis an die Kante, stets sicher – und schnell. Ihn überholt niemand, Bremspunkte, uneinsehbare Ecken und die schnellste Linie hat er im Urin. Sein Fahrkönnen – eine Gabe.
Richtig Motorrad fahren
ist kompliziert
Und: Richtig Motorradfahren ist widersprüchlich. Denn richtige Motorradfahrer fahren zwar das ganze Jahr, aber nicht auf kaltem oder feuchtem Asphalt – zu wenig Grip.
Richtige Motorradfahrer kennen die Alpen im Detail, dennoch ist die Frage nach GPX-Daten einer Tour die zweitmeist gestellte. Richtige Motorradfahrer fahren zwar die kleinsten Pfade durch die Berge, träumen aber von der Route 66. Und von der dicken Harley, mit der sie der untergehenden Sonne entgegenrollen.
Richtige Motorradfahrer lieben steile Alpenpässe, finden aber das Stilfser Joch langweilig, wegen Stop and Go und Erste Gang-Serpentinen. Richtige Motorradfahrer ärgern sich zwar über Fahrverbote und Streckensperrungen, bestellen sich aber das neue Motorrad stets passend zum offenen Auspufftopf.
Ich bin offenbar kein richtiger Motorradfahrer. Ich fahre meist mit dem Auto zur Arbeit und greife dabei in ein beheiztes Lenkrad. Wird Niederschlag angekündigt, bleibt der Helm im Schrank. Ich fahre – auch – ein elektrisches Motorrad, und es ist unfassbar: Mir fehlen dabei weder Sound noch Vibrationen, schon gar nicht Emotionen. Ich fahre kantig abgefahrene Reifen und kann die Fahrwerke meiner Maschinen nicht einstellen. Ich fahre auf der Autobahn in den Urlaub, trage das enge Rennleder auf der Harley und den Klapphelm auf der Ducati. Ich fahre seit 30 Jahren Motorrad – vielleicht nicht immer „richtig“, aber immer leidenschaftlich.
Ob es wohl auch den „richtigen Autofahrer“ gibt? Den „richtigen Fahrradfahrer“? Eventuell sogar den „richtigen Fußgänger“? Auf Social Media gibt es sicher alles …
Motorrad fahren
ist doch immer „richtig“?
Zu diesem Text wurde ich von einer Diskussion auf der Facebook-Seite des Kradblatts inspiriert. Indirekt wurde Marcus dort vorgeworfen, kein richtiger, echter Motorradfahrer zu sein – er hatte die Software seiner Kommunikationssysteme aktualisiert und davon berichtet.
Was sagt man als „normaler“ Motorradfahrer dazu?
Ein echter Motorradfaher:
– fährt natürlich ne Harley und keine Gummikuh!
– hat nen Rauschebart!
– trägt wenn überhaupt Lederklamotten und keine Funktionskleidung!
– kennt alle Strecken in der näheren und weiteren Umgebung und in den Bergen sowieso!
– trinkt sein Kaffee schwarz.
– Macht keiner was vor!
– Ist natürlich männlich!
– Satire aus –
Hmm, eigentlich klingt das ja noch viel mehr nach ‚Baika‘, aber was weiß ich schon. Schubladen sind ja eh nur für die anderen, ich bin Kradist.
Wie heisst es so schön?
„Wir sind alle Individuen!“ .. „ich nicht!!“ *g*
Immer wieder schön und unterhaltsam zu lesen, deine Beiträge
Hey Wolfgang,
vielen Dank für Deinen Kommentar – ich schätze das sehr!
Hallo lieber Jürgen,
Du sprichst mir aus der Seele.. so oder so ähnlich habe ich es 2019 schon im editorial vom Kradblatt geschrieben…https://maedchenmotorrad.de/2019/04/toleranz-unter-bikern-schoen-waers/
Boah Julia,
schaut so aus, als würde es jeden von uns mal treffen. Dein Editorial ist Klasse, Danke für den Link!
Herzliche Grüsse und bis bald!