
Unfassbar: am 10. Dezember ist Res in seinem geliebten Kenia gestorben. Den Bericht unserer ersten gemeinsamen Motorrad-Tour durch die Jungfrau-Region in der Schweiz widme ich ihm.

Die Jungfrau-Region in der Schweiz
Anfang 2021 lädt mich Andreas von Allmen in die Schweizer Jungfrau-Region ein. Er entwickelt für ein lokales Hotel Angebotspakete für den Einstieg in das elektrische Motorrad-Business – ich darf ihm beim Validieren einer seiner Touren unterstützen.
Frühjahr 2021. Im Posteingang taucht eine Einladung auf: „Scouting einer Motorrad-Tour in der Jungfrau-Region“. Wo das wohl ist? In der letzten Ecke meines Oberstübchens finde ich den „Jungfrau-Marathon“, an dem meine Arbeitskollegin regelmäßig teilnimmt. Erinnere mich dunkel an eine Reportage über die Jungfrau-Bahn, und nach etwas Spazierendenken kommt mir auch das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau in den Sinn.
Als Südtiroler ist man Bergen immer irgendwie abhängig – obwohl ich sie nur erklimme, wenn ich sie befahren kann. So ist mir die wahnsinnigste Nordwand der Alpen zwar ein Begriff, aber ich könnte den Eiger-Gipfel auf der Landkarte nicht spontan finden.
Ich lese das Mail zu Ende. Es geht – so verstehe ich es endlich – darum, in einer mir unbekannten Gegend eine neu ausgearbeitete Motorrad-Tour abzufahren und auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Tauglichkeit, inwiefern? Was soll es denn in der Schweiz Besonderes an einer Motorrad-Tour zu prüfen geben, frage ich mich. Das Besondere könnte an den Motorrädern liegen: um, im Sinne des „Swisstainable“-Projekts von Schweiz Tourismus unterwegs zu sein, werden wir elektrisch fahren. Buchstäblich spannend also, und klar: da bin ich natürlich gerne mit dabei!
Auf dem Weg
in die Zentralschweiz
Ich kämpfe mich also anfangs Mai über den im Regen versinkenden Ofen-Pass, erobere wenig später auch den im Nebel verschwindenden Flüela-Pass mit seinen meterhohen Schneewänden. OK, im klimatisierten Auto mit Sitzheizung nicht das ganz große Abenteuer. Auch muss ich nicht mein eigenes Motorrad mitbringen – die Freunde von Country Road in Alpnach, dem Zero-Händler der Zentralschweiz, stellen spontan und unkompliziert zwei vollverkleidete SR/S und eine nackte SR/F zur Verfügung, die Andreas, Journalist Matthias Göbel und ich durch die Jungfrau-Region fahren werden.

Zu Besuch bei Country Road in Alpnach
Kaum sitze ich im Sattel der SR/S, öffnen sich die Schleusen des Himmels. Meine Fahrt ins ***Jungfrau-Hotel Wilderswil bei Interlaken wird zur Schwimmübung durch knöcheltiefes Wasser und – unangenehmer – zum Blindflug wegen meines permanent beschlagenden Helmvisiers. Und weil ich in der Eile ins Sommerfutter meines Motorradanzugs geschlüpft bin, auch zu einer besonderen Feuchtigkeitserfahrung. Mit jeder Wasserfontäne, die das Vorderrad links und rechts an mir vorbei schleudert, steigt die Sicherheit, dass eine Zero wesentlich wasserunempfindlicher ist als ich.
Das Hotel empfängt mich trotz der mich begleitenden Wasserspur herzlich, mit bereits eingestecktem Ladekabel für die Zero und kühlem Panache für mich, obwohl ein heißer Tee eventuell die bessere Idee gewesen wäre.
Blick
auf die Jungfrau
Die große Hotel-Terrasse erlaubt einen Blick auf den namensgebenden 4000er, tief hängende und immer noch heftig abregnende Wolken verhindern ihn. Ich erwarte einen feuchtfröhlichen Fahrtag – mit schönem Wetter rechne ich nicht.
Ist in dem Moment aber auch unwichtig – ich genieße die erstklassige Küche des Hotels, lasse mir hausgemachte Pasta mit selbstgeerntem Bärlauch aus dem angrenzenden Wald schmecken, getoppt von einem süß-sauren und süchtig machenden Rhabarber-Dessert. Esse glatt zwei Portionen davon. Und während die Zero in der Tiefgarage gemütlich am Juice-Booster nuckelt und meine durchnässten Kleider im Bad trocknen, bleibe ich gespannt, was sich hinter den schweren Wolken vor den Fenstern verbergen wird.

Hausgemachte Bärlauch-Pasta vom „Choch Topf“
Der nächste Tag wird’s zeigen – ab 9.00 Uhr rollen wir durch Wilderswil und werden schon beim ersten Verpflegungs-Stopp in interessierte Gespräche verwickelt. Ein rüstiger Rentner, der „früher auch mal so eine Maschine gefahren ist“, möchte seinen Rollator gegen mein Motorrad tauschen, bleibt am Ende aber komplett verwirrt zurück, weil ich ohne Motorensound davon rolle. Das sind moderne, rücksichtsvolle Zeiten, mein Freund!
Andreas fährt voraus, schwingt uns ein, auf ein anfangs breites, dann aber mit jedem Meter schmaler werdendes Asphaltband, das sich durch den Wald in die Höhe schraubt. Übrig gebliebene Nässe des Vortages liegt gemein in den Ecken, aber obwohl wir auf supersportlichen Reifen rollen, gibt es keine Probleme mit Rutschern. Die Zauber-Elektronik unter unsern Hintern arbeitet offenbar erstklassig. Easy, handlich und im besten Fall komplett unauffällig fallen die Zeros in Schräglage und segeln durch die Kehren in Richtung Habkern.
In meinem Büro in Graubünden kann ich regelmäßig den Tönen von Alphörnern lauschen. Der Tradition verbundene Künstler erfüllen das Val Müstair immer wieder mit den warmen, weithin hörbaren Klängen eines Hirtenhorns, das nur in der Schweiz zum Musikinstrument weiterentwickelt wurde – und hier, in Habkern, wird es gebaut. Heinz Tschiemer, der sich mit Andreas in für mich nicht mehr entschlüsselbarem Dialekt unterhält und das eine oder andere volkstümliche Lied anstimmt, erklärt mit raumfüllender Passion die Herstellung eines Alphorns, streicht im Vorübergehen liebevoll über seine Arbeiten, feiert die Magie des „richtigen“ Holzes für die Herstellung – und tischt Kaffee und Croissants auf.

Alphornbauer Heinz Tschiemer
Aber nicht nur das Holz aus seinem eigenem Wald und die Ergebnisse seines bis zu 80 Stunden lang dauernden Schaffens für ein Alphorn interessieren ihn – beim Anblick unserer kalifornischen Batteriemaschinen blitzt sofort der Unternehmer in ihm auf. Mittelfristig werden Besucher von Bernatone wohl auch Fahrzeug-Akkus laden können.
Wir verlassen Habkern und klettern weiter – unser Weg verliert Leitplanken, Begrenzungssteine und Breite. Durch sattgrüne, vollgesogene Wiesen schwingen sich wirr verdrahtete Pfade in allen möglichen Radien und Steigungen – von einer Qualität, die ich in meiner Heimat selbst in wildesten Träumen nicht finde. Schlaglöcher, Spurrillen, Frostschäden, Bodenwellen? Fehlanzeige, der Schweizer Straßenbau ist selbst hier, in einer Gegend, die es auf dem Navi gar nicht mehr gibt, erstklassig.
Alphorn
und Brätzeli
Meine Orientierung ist weg. Um zu viele Kurven, durch zu viele Täler geht es den Berg entlang, als dass ich mir noch vorstellen könnte, aus welcher Richtung wir ursprünglich kamen. Ab und zu taucht ein Bauernhof auf, jeder mit einem kleinen, liebevoll eingerichtetem Bauern-„Kiosk“, wo im wahrsten Wortsinn unaussprechliche Spezialitäten angeboten werden. Und zu fast jedem Bauernhof gehört eine lebensmüde Katze, die sich verläßlich vor Andreas’ Vorderrad wirft. Kurios.

„Swiss Shopping“ an kleinen Nebenstrassen
Die hier lebenden Menschen kennen das Wort Eile nicht – sie leben die Freundlichkeit dafür umso mehr: während Andreas auf seiner SR/S beim Vorbeifahren noch für Verwirrung sorgt, klärt Matthias auf der SR/F sichtbar auf: „Ah, ein Elektro-Motorrad!“ Als Dritter der Bande hole ich mir dann das Lächeln und die hochgereckten Daumen ab.
„Wie Sie sehen, sehen Sie nichts“. Das Dreigestirn zeigt sich selbst auf Andreas’ geheimen Fotoplatz heute nicht – die Wolken um Eiger, Mönch und Jungfrau werden den ganzen Tag nicht verschwinden.
Irgendwie schade, aber ein guter Grund, einmal wieder zurück zu kommen.

Gruppenbild ohne Eiger, Mönch und Jungfrau
Dafür entschädigt später der Blick auf den tief unter uns liegenden Thunersee. Zur Mittagszeit drückt sich die Sonne endlich durch die Wolken und lässt ein faszinierendes Blau erscheinen. Berge, ein See, ein Motorrad und Zeit, das bestaunen zu können – was braucht man mehr?

Blick über den Thunersee
Beinahe schon kitschig schön breitet sich wenig später eine weitläufige Hügellandschaft vor uns aus. Der immer noch schmale Weg unter unseren Rädern bleibt kurvenreich, legt sich über und an die Kuppen, steigt dramatisch an, stürzt wieder in die Tiefe und um enge Kehren. Keine anderen Verkehrsteilnehmer stören unser Dahingleiten, die Stille dieser urigen, ländlichen Gegend drängt sich mehr und mehr in meinen Helm.
Hier mit einem sportlich heulendem Motorrad nur in den ersten zwei Gängen – mehr geht ohnehin nicht – herumfahren? Hier einen schwergewichtigen, dumpf bollernden Cruiser mit lautem Auspuffspruch durch die Serpentinen quälen? Hier mit einem Adventure-Motorrad und beidseitig montierten 50-Liter-Alu-Koffern an den eng stehenden Viehzäunen hängen bleiben?

Kurvenswing auf verlassenen Strassen
Alles nicht das Wahre. Aber auf leisen, schmalen und handlichen Elektro-Motorrädern durch das Grün zu rollen, die Ruhe nicht zu stören, in der mächtigen Natur quasi zu verschwinden – das ist genau passend.
Auf den Displays unserer Zeros ist ein weiterer Vorteil dieser Landschaft abzulesen: hohe Geschwindigkeiten sind nicht fahrbar, das erlaubt das enge, kurvige Straßennetz nicht. Die steilen Passagen bergab spülen viele der beim bergauf Fahren verbrauchten Watt zurück in die Akkus – nach über vier Stunden Motorradwandern im Hinterland des Thuner Sees sind unsere Akkus noch halb voll, die geschätzten Reichweiten liegen sogar noch weit über der bisher zurückgelegten Strecke.

Kurven wie für’s Motorrad gemacht
Kann das langweilig sein? Eher nicht. Eine der Besonderheiten eines Elektromotorrads liegt in der Möglichkeit des Beschleunigens UND Bremsens einzig mit dem „Gas“Griff. Unsere Zeros drücken auf den wenigen geraden Abschnitten gnadenlos nach vorne und laufen in den Serpentinen am Ende des Speeds doch nicht im falschen Gang. Das schont in dieser für Motorradfahrer herausfordernden Landschaft Muskeln und Nerven. Es reicht die rechte Hand und ein guter Blick für die Linie, um herrlich entspannt und stressfrei voran zu kommen.
Motorrad-
Traumrevier
So reiten wir natürlich auch über den Schallenberg, nicht immer ganz der Touring-Optik meiner SR/S mit Seitenkoffern entsprechend, und trotzdem kümmert’s keinen. Das leise, dumpfe Wummern des Antriebs, das Summen des Motors und das Abrollgeräusch der weichen Reifen stören niemanden.

Unauffällig auf dem Schallenberg
Wie zum Dank dafür weichen die trüben Reste des gestrigen Regentags endlich wärmenden Sonnenstrahlen. Fesselnde Panorama-Blicke über die im Wechsel bewaldeten oder von Wiesen überzogenen Hügel reizen zu mehr als nur einer Pause, rufen zum Innehalten, zum Genießen. Und dieser Genuss ist augenblicklich: kein Motor läuft im Leerlauf, kein Lüfter bläst zur Kühlung, kein heißer Auspuff zerknackt die Ruhe. Wo man steht, ist Stille.

Imposante Panoramen
Bei sinkender Sonne verlassen wir die Berge und fahren hinunter ans Wasser. Entlang der Ufer des Thunersees werden unsere Schatten immer länger, die Farben bunter, das Zweirad-Erlebnis nochmals intensiver – denn wann hat man im Sattel eines Motorrads jemals das Brechen kleinster Wellen gehört?

Entlang des abendlichen Thunersees
Nach 200 Kilometern auf kleinsten Straßen lenken wir die Zeros wieder in die Tiefgarage des Jungfrau-Hotels. Das magische Eiger-, Mönch- und Jungfrau-Dreigestirn blieb uns zwar verwehrt, dafür begegneten uns urige Schweizer Kultur, herrliche Landschaften, einzigartige Kurvenkombinationen und nachhaltiger Motorradspaß. Nicht nur wegen der Energieversorgung der Zeros mit Schweizer Strom aus Wasserkraft, sondern auch, weil es mich immer wieder hierher ziehen wird – es ist einfach so schön hier!
Ich trage mein weniges Gepäck die Rampe der Tiefgarage hoch – und laufe Küchenchef Simon in die Arme. Er hält mir eine Kochschürze, einen Kochhut und ein Tablett mit gekochten Kartoffeln, Butter und gehackten Zwiebeln hin. Sein Finger befiehlt mich in Richtung Smoker, der vor der Hotelterrasse in den Abendhimmel dampft, und erlaubt keinen Widerspruch.
Staunen. Schuppen. Augen: vor vielen Jahren, schon beim ersten virtuellen Treffen mit Andreas, postete er das Bild eines alten Schweizer Bauernhauses – mit der Frage, was das Bild mit mir machen würde. Ich erinnerte mich an meine Zeit als Koch im Gasthof Krone in Mals, ebenfalls ein altes Haus mit Geschichte, und kommentierte:
.. hier würde ich gerne
Berner Rösti braten.
Diesen Wunsch erfüllt mir Andreas heute – mit Hilfe des Teams vom Jungfrau-Hotel in Wilderswil. Minuten später schwinge ich, umgeben von besten Freunden, eine schwere, gusseiserne Pfanne über offenes Feuer, brate Farbe und Geschmack in Zwiebeln und Kartoffeln. Und freue mich SEHR über diese Überraschung!

Herzlichen Dank, Andreas!
Andreas, es war mir eine Ehre, mit Dir unterwegs gewesen zu sein –
Ein lieber Gedanke, dein Mitschüler tourismusfachschule siders.
oh, das tut weh, Andreas war unsere erste Band vom Karin Roten Fanclub in Leukerbad. Zusammen mit zwei Freunde spielte er in der Band 007, Dresu spielte die Bassgeige das Trio war gut. Er hatte ein paar Auftritte in Leukerbad. R.I.P. Dresu du warst eind toller Freund
Ich bin echt erschüttert als ich dies gehört habe. Unfassbar! Danke Dir Jürgen, dass Du ihn mit diesem Artikel so gedenkst. Herzliche Grüße Alex
Danke Dir, Alex.
So ist wohl das Leben ..
Beste Grüsse,
Jürgen
Wunderschoene Erinnerungen an Andreas und eine traurige Zeit. It is nice to read all the responds from his friends and bikers being as passionate as Andreas. So many of us were looking to mutual adventures and exploring all what life has to offer. Momentan in Los Angles. Wuerde gerne von Euch hoeren im Falle eines Treffens in Ehren von Andreas. michaelstuger@yahoo.com. Vielen Dank !
Mein Beileid und Umarmung an Familie und Freunde.
He will not be forgotten and i already miss his kindness and the conversations .
Ich kann es nicht glauben. RIP Andreas
Das tut mir sehr leid zu hören! R.I.P Andreas
… wenigstens konnte er sein großes Abenteuer Afrika noch erleben.
Ride in heaven… ich denk an dich.
Wie jetzt, Andreas ist tot…? Nein, oder???
Lieber Andreas, Du wirst uns fehlen. Oft haben wir gesprochen und auch Pläne für eine gemeinsame Ausfahrt geschmiedet. Deine positive und energiegeladene Art hat mich jedes Mal begeistert. Ich denke an Dich und Deine Familie!