
An anderer Stelle auf MotorProsa steht: „Leben kann schwierig, dunkel, schmerzhaft sein“. steph, eine liebe Freundin und reisende Motorradfahrerin, offenbarte mir, dass auch sie das Dunkel kennt – und nach langen, düsteren Jahren endlich überwunden hat. Hier ist ihre berührende Liebeserklärung an das Leben.

Com’è la vita? Meravigliosa ma cinica
una grande casa che ci accoglie,
ci riscalda il cuore ma a volte ci dà le spalle.
E ci assale, ci accarezza piano meravigliosa questa vita.
Wia düster, wia voller Angst, wia ganz alloa, wie hoffnungslos
wia bunt und wia bacherlwarm, wia liacht und wia sonnenklar
wia flüchtig, wia ewig, wia wunderbar is des Lebn
(Werner Schmidbauer, Pippo Pollina, Martin Kälberer)
Wenn es auch „nur“ ein Liedtext ist, so zeigte es mir in meinen dunkelsten Zeiten doch, dass ich mit meinen Themen nicht alleine bin – das hat mir Mut gegeben. Und vielleicht kann meine Geschichte anderen Menschen aufzeigen, dass es sich lohnt, nie aufzugeben, das eigene Leben zu verändern, wenn es in die falsche Richtung läuft, und vor allem die schönen Seiten des Lebens tagtäglich aufs Neue zu feiern und zu genießen.
Mein Weg
in die Dunkelheit
Es fing vor etwa 9 Jahren schleichend an, mit immer mehr schlaflosen Nächten, phasenweisem Gefühl der Überforderung und zunehmender Antriebslosigkeit. Im August 2015, gefühlt seit einem Jahr jede Nacht schlaflos, hat es mich dann komplett zerlegt – es ging absolut gar nichts mehr. Eines Sonntag Morgens bin ich heulend „aufgewacht“ und war nicht mal mehr in der Lage, aufzustehen und mir einen Kaffee zu kochen.
Einen Tag später schleppte ich mich zum Arzt; der murmelte was von „Burn out“, stellte mir kommentarlos eine Krankmeldung, ein Rezept für Psychopharmaka und eine Überweisung zur Psychotherapie aus. Das Rezept hab ich nie eingelöst und ein Termin für Psychotherapie war vielleicht (!) in einem viertel Jahr zu kriegen.
Drei Monate lang schlich ich täglich bis zu 10 Stunden alleine durch die Natur, der einzige Ort, wo ich es einigermaßen ausgehalten habe und saß oft stundenlang auf einem Jägerstand, bis ich wieder so halbwegs lebens- und einsatzfähig war. Am Ende des Jahres versuchte ich mit stufenweiser Wiedereingliederung zurück in die Arbeit zu finden, merkte aber bald, dass sich die Spirale erneut wieder schneller zu drehen begann. Da war ich endlich an dem Punkt angelangt, wo mein Überlebenswille angesprungen ist – ich fasste den Entschluss, zu allererst für mein eigenes Wohl zu sorgen und nie mehr etwas auszuhalten, was mir nicht gut tut.

Auf der Suche nach Ruhe …
Ich nahm all meinen Mut zusammen und leistete mir den Luxus, nach knapp 10 Jahren aus der zunehmend toxisch gewordenen Arbeitssituation an der Privatschule auszusteigen – mit dem Ziel, wieder gesund zu werden. Ich habe die Arbeit im Sekretariat und die Zusammenarbeit mit dem genialen Schulleiter wirklich sehr geliebt, aber nach einigen Jahren war dort eine Geschäftsführerin aufgetaucht, mit deren Führungsstil ich so gar nicht klar kam. Ich geriet zunehmend in eine Zwickmühle zwischen die beiden, suchte den Fehler häufig bei mir und war geplagt von Selbstzweifeln – nicht zuletzt deshalb habe ich diese zermürbende Situation wohl viel zu lange irgendwie ausgehalten.
Es gab daneben auch noch eine ganz besondere private Beziehung, die im Mai 2014 ganz wundervoll begann, allerdings schon von Beginn an unter schwierigen Umständen – und sie hat sich im Laufe der Zeit ebenfalls in eine sehr toxische Richtung entwickelt. *Wenn ich es nur lange genug aushalte, wird es irgendwann gut* – diesen Quatsch hab ich mir wieder einmal ernsthaft eingeredet. Nach etwa zwei Jahren kam es zu einem mehrmaligen On & Off – im Off konnte ich mich immer wieder „erholen“ und Kraft tanken, aber die Schlaflosigkeit machte sich dennoch wieder zunehmend breit: ein deutliches Alarmzeichen meines Körpers.
Ich schaffte es, nach 4,5 Jahren auch hier auszusteigen, aber etwas in mir ist damals endgültig zerbrochen.
Endlich
frei?
Als ich zum Schuljahresende 2016 aufgehört habe zu arbeiten, hatte ich also ganz viel Zeit und Freiräume für mich und alles schien gut zu werden. Aber der Teufel steckt im Detail: Wenn du plötzlich keine Struktur mehr hast und nicht mehr täglich zur Arbeit musst, ein neuer Lebensinhalt erst gefunden werden will, ist das gar nicht so einfach. Mein innerer Antreiber, der saß mir täglich im Nacken und machte mir das Leben schwer – ein permanent schlechtes Gefühl, weil ich nichts „Sinnvolles“ mehr tat. *Du musst doch was leisten* – dieser Satz war stets in meinem Kopf.
Ich habe mich für 2017 mit Freizeitaktivitäten aller Arten zugepflastert – das Ergebnis war bereits Anfang April eine komplizierte Radiusköpfchenfraktur: Ich bin beim Rückwärts rangieren mit dem Motorrad umgefallen …
Die geplanten Reisen waren damit Geschichte. Ich saß meist nur zuhause rum und hatte viel Zeit, nachzudenken. Das pure Motorrad fahren, nur um des Fahrens willen, hatte in den letzten Jahren für mich eh irgendwie den Reiz verloren. Neue Aufgaben und Ziele mussten her. 2018 baute ich meinen T5 zum Wohnmobil aus und begann sporadisch bei einer Tinyhouse Manufaktur mitzuarbeiten. Dies führte ab Februar 2021 zum Bau eines eigenen kleinen Häuschens auf Rädern und hat mich unbedachterweise an die Manufaktur gebunden, denn leider erwies sich diese Verbindung zusehends als eine Art Déjà-vu meiner Zeit an der Schule. Sobald meine Villa Kunterbunt nahezu fertig war, ging es dann auch, leider unschön, auseinander.
Den Fehler suchte ich diesmal aber immerhin schon nicht nicht mehr nur bei mir!
Ich bin eigentlich, seit ich denken kann, tendenziell eher ein Einzelgänger – heißt, ich kann gerne und gut alleine sein, aber mit diesen wiederholten „menschlichen“ Tiefschlägen habe ich mich noch mehr zurückgezogen. Auch die letzten ein, zwei guten Freundschaften zerbrachen, und da war ich wirklich alleine, einsam …
Es geht
noch dunkler
In all diesen Jahren waren meine Reisen in die Wüste und in ferne Länder, insbesondere nach Bhutan und Nepal, während der tristen, kalten Jahreszeit meine Lichtblicke. Und auch im Sommer ließ mich das Reisen mit dem Motorrad oder mit meinem Van oftmals meine innere Zerrissenheit vergessen und gab mir immer wieder Kraft. Mit Corona brach dann ab Frühjahr 2020 zum einen das Reisen ziemlich abrupt weg und auch die allerletzten Kontakte mit anderen Menschen kamen zum Erliegen.

Motorradfahren ist soviel mehr …
Ab dem ersten Corona-Winter wurde jeder Winter noch ein bisschen dunkler als der vorige. Ich schlief bis zu 14 Stunden täglich, das Wort A-N-T-R-I-E-B konnte ich nicht mal mehr buchstabieren, ich verließ die Wohnung nur noch zum Einkaufen und bezahlte an der SB-Kasse. Meine Tochter war mein letzter echter Kontakt zur Welt. Ich wurde zunehmend menschenscheu, konnte und wollte niemandem mehr vertrauen, Nachrichten vermied ich zur Kenntnis zu nehmen, denn die ganze Menschheit machte mir immer mehr Angst. Selbstzweifel wurden wieder meine steten Begleiter, die Sinnfrage, auf die mir keine Antwort einfiel, machte mich immer mutloser und der Verfall meiner körperlichen Leistungsfähigkeit schürte die Angst vor dem Alter.
Ich hatte das Gefühl, immer durchsichtiger zu werden und langsam zu verschwinden …
Licht
am Ende des Tunnels
Meines Zeichens ein Stehaufmännchen, haben mir meine Liebe zur Natur, die unglaubliche Schönheit dieser Welt und die Existenz meiner Tochter wiederum die Kraft gegeben, nicht aufzugeben. Es war ein langer Weg mit viel reflektieren und nachdenken .. sich im Kreis drehen .. durchhalten .. gruselige Dunkelheit ertragen .. Auswege suchen .. zaghafte Schritte wagen und dabei auch immer wieder mal auf die Nase fallen .. aufstehen, Krönchen richten und weitermachen .. mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.
Jede auch noch so kleine Regung von Motivation nutzte ich, um rauszugehen, das Leben zu feiern und zu genießen – in diesen Momenten konnte ich stets verlässlich die wärmende Sonne hinter dem Dunkel spüren.

Wärmende Sonne hinter dem Dunkel spüren
Die Anstrengungen haben sich gelohnt, denn seit diesem Sommer fühlt sich mein Leben großteils wieder sonnig und friedlich an. Manchmal noch ein bisschen wackelig, denn ich muss noch besser lernen gut auf mich aufzupassen, aber die Sonne hat wieder einen fest verankerten Platz in meinem Herzen. Auch in meiner Außenwirkung hab ich mich anscheinend verändert, bin wieder sichtbarer geworden. Ich bin immer noch sehr vorsichtig, was den Kontakt mit Menschen angeht, aber es kommen immer öfters auch wildfremde Menschen auf mich zu, wie z. B. der Franzose in dem Café oder der Motorradfahrer am Grimsel: Zwei nette kurze Begegnungen ohne großen Tiefgang – das macht erstmal keine Angst und zaubert ein Lächeln ins Gesicht.
Echte Freiheit
und mehr Achtsamkeit mir selbst gegenüber
Mein eigener Anteil an dem Zusammenbruch 2015 war sicherlich vor allem mein innerer Antreiber: Ich habe mich dadurch in Lebenssituationen gebracht, die alles andere als gut für mich waren, die ich aber trotzdem viel zu lange ausgehalten habe. Viele Jahre sind ins Land gegangen, ehe ich diesen Sklaventreiber in mir in den Griff bekommen habe und damit diesen inneren Druck abstellen konnte. Mittlerweile kann ich ganz entspannt, ohne schlechtes Gewissen, auch einfach mal nichts tun und es genießen – bis auf ein paar wenige, absolut unabänderliche Notwendigkeiten mache ich nur noch das, wonach mir wirklich ist und was sich gut für mich anfühlt.

„Du musst die Zukunft nicht vorhersagen, Du musst sie zulassen“.
(Der Kleine Prinz)
Zum Sinn meines Lebens ist es geworden, diese wundervolle Welt zu lieben, wertzuschätzen und zu genießen, und trying to be someone that I can be proud of one day – eine Textzeile aus dem Song „Breaking the rules“ von Jack Savoretti, den ich im September beim Open Air Konzert in den Bergen über dem Lago di Molveno im Rahmen des Festivals „I Suoni delle Dolomiti“ erleben durfte. Ich vertraue dem Leben und versuche offen zu sein für das, was auch immer da kommen mag – seitdem kommt meine Power immer öfters zurück. Und seit diesem Sommer, der so voller ganz besonderer Momente war, fühle ich mich in meiner Liebe zum Leben wieder angekommen.
Ein Aspekt, der noch verinnerlicht werden will, ist meine Selbstfürsorge: Ich hatte so manches Mal im Leben kein Händchen, wirklich gut auf mich aufzupassen und für mich zu sorgen, weder in der Arbeitswelt, nicht in zwischenmenschlichen Beziehung und bei Paarbeziehungen hab ich ganz besonders wenig Talent gezeigt.
Mein völliger sozialer Rückzug, aus Angst vor neuen Verletzungen und letztlich nochmal verstärkt durch Corona, hatte mich so richtig in die Einsamkeit getrieben. Ich habe eingesehen, dass ich zwar gut und gerne alleine sein kann und will, aber trotzdem auch den Austausch mit anderen Menschen brauche … dabei will ich auch endlich mir gegenüber achtsam sein und so ein echtes Gespür dafür entwickeln, was/wer mir wirklich gut tut, denn
Es sind (auch) die Begegnungen mit Menschen,
die das Leben lebenswert machen.
Guy de Maupassant
steph ist Moderatorin eines der besten Motorradforen: dem Mimoto Reiseforum. Sie fährt eine wunderschöne Ducati Monster und eine Royal Enfield, ihre Reiseberichte sind legendär. Und ich bin gerne mit ihr unterwegs, beim Alpenbollern und beim Suchen von besonderen Pfaden in den Bergen.

Meine 748s und stephs Monster M1100 Evo 20th Anniversary
Stephs wunderschöne
Reiseberichte
- Bhutan – Ein Land wagt eine Gratwanderung
- Nepal – Unterwegs auf dem Ghorepani Poon Hill Trek
- Besondere Momente im Sommer 2023 – Kurven .. Kultur .. Kunst & Natur pur
